Atomkraft-Debatte:Im Labyrinth der Zuständigkeiten

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Die Sicherheit von Atomkraftwerken liegt in vielen Händen. Wer die Zuständigkeiten verstehen will, muss sich durch das Dickicht des deutschen Föderalismus kämpfen.

Johannes Kuhn

Eine fast unüberschaubare Anzahl an Verordnungen, Gesetzen und Behörden soll die Sicherheit der deutschen Atomkraftwerke gewährleisten. Wer die Verantwortlichkeiten nachvollziehen will, muss sich durch den Dschungel des Föderalismus schlagen.

Zunächst klingt alles ganz einfach: Grundsätzlich ist für die Sicherheit eines Atomkraftwerks der Betreiber zuständig. Ob dieser den notwendigen Schutz gewährleistet, muss die jeweilige Landesbehörde kontrollieren, die hierfür eine Atomaufsicht eingerichtet hat.

Wo diese angesiedelt ist, hängt wiederum vom Zuschnitt der Ministerien ab. So ist in Schleswig-Holstein das Sozialministerium für die Atomaufsicht zuständig, in den anderen Bundesländern das Umweltministerium.

Obwohl die Länder die Kernkraftwerke überwachen, liegt die Gesetzgebung für Atomanlagen in der Hand des Bundes. "Der gibt die Aufgaben an die Länder weiter, weil die Landesbehörden für die Aufsicht direkt vor Ort sein können", erklärt Verfassungsrechtler Jörn Ipsen.

Das Bundesumweltministerium hat trotzdem bereits in einem Gutachten prüfen lassen, ob es sinnvoll wäre, die Kontrolle der Kraftwerke in Bundeshand zu legen. Die Rechtsprüfer rieten bislang davon ab. Das Thema könnte jedoch wieder auf den Tisch kommen, falls Deutschland den Atomausstieg fortsetzt und die geringe Zahl der Kraftwerke die Landesbehörden überflüssig macht.

Bis dahin hat der Bund andere Einflussmöglichkeiten, denn die Atomaufsichten der Länder müssen Weisungen des Bundesumweltministeriums befolgen - es kann kritische Fälle somit indirekt an sich ziehen.

Darüber hinaus kann der Bund auch auf Gesetzesebene eingreifen. Das Atomgesetz (AtG) gibt hierbei jedoch nur den Rahmen vor. Für konkrete Sicherheitsmaßnahmen ist in erster Linie der Kerntechnische Ausschuss (KTA) zuständig. In ihm sitzen 50 Vertreter von Behörden, Gutachtern, aber auch von den Herstellern und Betreibern der Atomanlagen.

Was sie beschließen, geht in die aktuellen KTA-Richtlinien ein. Diese, das Atomgesetz und weitere Regelungen wie die Atomrechtliche Sicherheitsbeauftragten- und Meldeverordnung (AtSMV) werden dann bei der Erstellung und Aktualisierung der Bedienungs- und Notfallhandbücher für die Kernkraftwerke berücksichtigt.

Lücken im Betriebshandbuch

Allerdings weisen die Handbücher manche Lücken auf. Ein Beispiel ist ein Vorfall im Kernkraftwerk Philippsburg im Landkreis Karlsruhe von 2001: Dort hatten Tanks mit der Notfallkühlung eine falsche Borsäurekonzentration aufgewiesen.

Dies hätte zu schwerwiegenden Folgen führen können, doch im Betriebshandbuch waren die Anweisungen für diesen Notfall unvollständig - der Betreiber ließ das Kraftwerk am Netz. Erst auf Anweisung des damaligen Umweltministers Jürgen Trittin (Grüne) wurde das AKW bis zur Klärung der Ursache vom Netz genommen.

Wer die Sicherheitsvorschriften ändern will, muss also an verschiedenen Schrauben und Verordnungen drehen. Eine Garantie dafür, dass Mitarbeiter unter Druck richtig reagieren, ist dies allerdings nicht.

Darüber hinaus mangelt es in den meisten Atomaufsichtsbehörden an Personal. So sind zum Beispiel in Niedersachsen vier technische Mitarbeiter pro Atomkraftwerk abgestellt - sie erhalten allerdings Hilfe von mehr als 50 Sachverständigen.

Auch deshalb fordert die schleswig-holsteinischen Sozialministerin GittaTrauernicht (SPD), die Beweislast für die Sicherheit eines AKWs umzukehren. Dies würde bedeuten, dass nicht mehr der Staat nachweisen muss, dass eine Anlage unsicher ist, sondern dass der Betreiber verpflichtet ist, die Sicherheit seines Kraftwerks zu beweisen.

Für den Präsidenten des Bundesamtes für Strahlenschutz, Wolfram König, wäre dies eine gute Lösung: "Eine Beweislastumkehr unterstützt die Unabhängigkeit der Landesaufsichtsbehörden", erklärte König sueddeutsche.de, "denn so würde das Damoklesschwert möglicher Schadenersatzforderungen der Stromversorger beim Stillstand ihrer Kernkraftwerke nicht mehr über der Aufsicht schweben."

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