Atomenergiebehörde:Warnung vor "nuklearem Terrorismus"

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Der kalte Krieg ist vorbei, die Atomgefahr nicht: Der Chef der Atomenergiebehörde, ElBaradei, warnt vor Terroristen mit nuklearen Waffen.

P.-A. Krüger

Mohamed ElBaradei, 66, steht seit 1997 an der Spitze der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien. Der ägyptische Diplomat hat angekündigt, im kommenden Jahr keine vierte Amtszeit anzustreben.

"Je eher es direkte Verhandlungen zwischen den USA und Iran gibt, desto besser", sagt ElBaradei. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr ElBaradei, Sie sind seit elf Jahren Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde. Ist die Welt in dieser Zeit sicherer geworden, oder ist das Risiko gestiegen, dass irgendwo auf der Welt eine Atombombe explodiert?

Mohamed ElBaradei: Die Gefahr eines Atomkrieges zwischen dem früheren Sowjetblock und den USA existiert nicht mehr; ich hoffe auf Dauer. Aber die Bedrohung durch einen möglichen Einsatz von Atomwaffen ist gestiegen. Es gibt eine wachsende Zahl von Ländern, die Atomwaffen besitzen. Zudem haben wir feststellen müssen, dass Wissen über Atomtechnik viel leichter verfügbar geworden ist. Das Rezept für Atomwaffen ist auf elektronischen Datenträgern verbreitet worden. Deswegen nehme ich an, dass inzwischen viele Länder es besitzen. Ob sie die Zutaten haben, ist die andere Frage. Wir versuchen, durch unsere Inspektionen zu verhindern, dass sie sich das spaltbare Material verschaffen. Zudem sind wir mit dem relativ neuen Phänomen des nuklearen Terrorismus konfrontiert. Das ist derzeit die schwerwiegendste Bedrohung, denn Terroristen sind der traditionellen Abschreckung nicht zugänglich. Für sie ist es Teil der Ideologie, ihr Leben für ihre Sache zu opfern - anders als Staaten, die ihre Zerstörung vermeiden wollen, seien sie demokratisch oder theokratisch. Wir haben die Gefahr des nuklearen Holocaust getauscht gegen ein höheres Risiko, dass Atomwaffen tatsächlich eingesetzt werden.

SZ: Würden Sie angesichts dieser Lage sagen, dass der Atomwaffensperrvertrag in der Krise ist?

ElBaradei: Der Sperrvertrag wurde 1970 entwickelt. Sein Ziel ist - das wird oft vergessen - eine Welt ohne Atomwaffen. Das umfasst, dass keine weiteren Staaten diese Waffen erlangen, aber ebenso, dass die Atommächte abrüsten. Davon sind wir offensichtlich weit entfernt. Der Sperrvertrag war trotzdem erfolgreich in der Hinsicht, dass er die mögliche Verbreitung von Atomwaffen verhindert hat, über das Maß hinaus, das wir heute haben. Neben den Atommächten gibt es eine ganze Reihe Länder, die über die Zutaten verfügen, um in wenigen Monaten Atomwaffen herzustellen zu können, also spaltbares Material besitzen oder die Technik zu dessen Herstellung. Auch Iran befindet sich auf diesem Weg. Die Hoffnung ist: Solange diese Länder im Sperrvertrag bleiben, werden sie von unseren Inspektoren kontrolliert, und die Wahrscheinlichkeit ist gering , dass sie die internationale Isolierung riskieren, die ihnen bevorsteht, wenn sie aus dem Sperrvertrag austreten.

SZ: Kritiker werfen Ihnen vor, kaum etwas habe den Sperrvertrag so ausgehöhlt, wie Ihre Zustimmung zu dem Abkommen über zivile Nuklearzusammenarbeit zwischen den USA und Indien.

ElBaradei: Das ist ein komplettes Missverständnis. Ich habe mich bereits dafür eingesetzt, Indien, Pakistan und Israel näher an den Sperrvertrag heranzubringen, als die USA das selbst im Fall Indiens noch strikt ablehnten. Wir müssen diese Länder einbinden, nicht isolieren. Daher bin ich glücklich über dieses Abkommen. Man muss das Gesamtbild im Auge haben: Wenn wir eine Welt ohne Atomwaffen anstreben, müssen wir uns fragen, wie wir das erreichen wollen ohne die Kooperation Indiens - das gilt auch für alle anderen wichtigen Rüstungskontrollvereinbarungen wie den Teststoppvertrag oder das Abkommen über das Ende der Produktion von spaltbarem Material für Atomwaffen.

SZ: Wie wollen Sie diese Länder einbinden, ohne dem Vertrag zu schaden?

ElBaradei: Der Zugang zu ziviler Nukleartechnik war Anreiz für den Beitritt und den Verzicht auf Atomwaffen. Dies haben wir ausgeschöpft mit den 189 Ländern, die den Haupteingang zum Sperrvertrag genommen haben. Indien, Pakistan und Israel werden nicht auf diesem Weg kommen, weil aus ihrer Sicht ihre Sicherheitsbedürfnisse dem entgegenstehen. Jeder intelligente Politiker weiß, dass der Vertrag an diese veränderten Umstände angepasst werden muss. Es ist eine Illusion, dass wir eine Welt ohne Atomwaffen erreichen könnten ohne die Kooperation dieser Länder. Indien trennt sein ziviles vom militärischen Atomprogramm, es stellt 14Reaktoren unter unsere Kontrolle, es hält sich an strenge Exportvorschriften - alles Schritte in die richtige Richtung.

SZ: Wenn Indien Zugang zu Atomtechnik und spaltbarem Material erhält, kann es dann einen größeren Teil der eigenen Ressourcen zum Bombenbau verwenden?

ElBaradei: Das halte ich für ein fragwürdiges Argument. Indien besitzt spaltbares Material, wenn auch nicht unbegrenzt. Das würde so oder so für das Waffenprogramm benutzt. Den steigenden Energiebedarf müsste das Land dann mit Gas, Öl und Kohle decken - alles keine sauberen Energieträger. In Indien leben 650 Millionen Menschen in Armut. Es wäre zynisch, ihnen diese saubere, dringend benötigte Energie zu verweigern. Zudem frage ich die Kritiker: Soll Indien, wie alle anderen Länder mit einem zivilen Atomprogramm, Anlagen bekommen, die auf dem Stand der Technik sind, oder soll es auf seine eigene Technologie beschränkt bleiben? Das ist auch eine Frage der Sicherheit.

ElBaradei hegt Befürchtungen was das iranischen Atomprogramm angeht. Lesen Sie mehr dazu auf Seite zwei.

SZ: Auch Iran gibt vor, mit seinem Atomprogramm nur billigen Strom herstellen zu wollen. Vermischen sich da nicht untrennbar verschiedene Motive?

ElBaradei: Leider leben wir immer noch in einer Welt, in der Atomwaffen Macht und Prestige versprechen. Auch die Atommächte stützen sich in ihren Sicherheitsstrategien immer noch stark auf Atomwaffen. Wenn man nach Macht oder nach Sicherheit vor Angriffen strebt, ist es verlockend, Atomwaffen zu entwickeln oder zumindest die Fähigkeit dazu. Deswegen sage ich, die Iran-Frage ist letztlich ein Sicherheitsproblem. Das Atomprogramm ist nur Symptom eines darunterliegenden Gefühls der Unsicherheit und des Wunsches, als Regionalmacht anerkannt zu werden. Deswegen wird meiner Meinung nach der Atomstreit nur im Zuge direkter Verhandlungen über die regionale Sicherheit im Nahen Osten gelöst werden können.

SZ: Sie verlangen direkte Verhandlungen zwischen den USA und Iran?

ElBaradei: Natürlich, Europa sitzt nicht am Steuer, das sind die USA. Je eher es direkte Verhandlungen gibt, desto eher besteht Aussicht auf eine Lösung. Aber das wird nicht gehen, ohne die regionale Rolle Irans zu erörtern und die der anderen Länder im Nahen Osten. Und natürlich gibt es noch den Elefanten im Raum: Israels Atomprogramm. Das muss alles auf den Tisch, der Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern gehört auch dazu. Nur eine Gesamtlösung eröffnet der Region eine Entwicklungsperspektive, die es erlaubt, der zunehmenden Radikalisierung entgegenzuwirken, die eines Tages in nuklearen Terrorismus münden könnte.

SZ: In Ihrem Bericht steht, dass Iran die Urananreicherung immer besser beherrscht. Können die USA und Israel hinnehmen, dass Iran sich der Schwelle zur virtuellen Atommacht nähert?

ElBaradei: Die Frage ist, was können sie tun? Was sind die Alternativen zu direkten Verhandlungen? Solange wir ihre Anlagen überwachen, können sie keine Atomwaffen entwickeln. Und noch haben sie nicht die Zutaten, über Nacht eine Bombe zu bauen.

SZ: Das ist eine Frage von Monaten.

ElBaradei: Es ist vor allem eine Frage der Risikoeinschätzung. Ich kann nicht Gedanken lesen, ob Iran irgendwann tatsächlich eine Atomwaffe baut.

SZ: Ist das, wenn Iran eine bestimmten Punkt überschreitet, nicht genau der Grund für eine militärische Lösung?

ElBaradei: Ich fürchte, es gibt keine militärische Lösung. Das würde nur dazu führen, dass sich ganz Iran, selbst Oppositionelle, hinter der Regierung und ihrem Atomprogramm versammelten. Wichtiger noch, es würde Iran die Rechtfertigung für einen Crashkurs zum Bau von Atomwaffen liefern. Sie würden sich einfach verbunkern und das Anreicherungsprogramm wiederbeleben. Das Wissen ist da, das bekommt man auch nicht mit Bomben aus den Köpfen. Man kann vielleicht hinauszögern, dass Iran Atomwaffen entwickelt, wenn Teheran das wirklich vorhat. Aber Iran hat vielleicht verstanden, dass man sich damit begnügen kann, die Fähigkeit zum Bau von Atomwaffen zu entwickeln. Im Falle eines Angriffs werden wir in ein paar Jahren vor einem viel schlimmeren Problem stehen. Und ein Angriff würde die ganze Region in einen Feuerball verwandeln.

Lesen Sie auf Seite drei, welchen Weg ElBaradei im Konflikt zwischen den USA und Nordkorea vorschlägt.

SZ: Die USA haben Gründe, warum sie Verhandlungen ablehnen. Irans Verstrickung in den Terrorismus ...

ElBaradei: Wenn die USA sich mit Nordkorea an den Tisch setzen, einem Regime, das nicht als das demokratischste angesehen wird, das darüber hinaus bereits Atomwaffen besitzt - dann verstehe ich nicht, warum sie nicht mit Iran verhandeln können.

SZ: Die USA wie der UN-Sicherheitsrat verlangen ein Einlenken Irans.

ElBaradei: Wenn man an Diplomatie glaubt, muss man mit seinen Gegnern reden, nicht mit seinen Freunden. Die Idee, man könne Länder wirkungsvoll isolieren, funktioniert nicht, und meist erreicht man das Gegenteil des gewünschten Effekts. Die einzige Option, die ich sehe, sind Verhandlungen.

SZ: Mit Nordkorea haben die USA das versucht. Gerade fährt das Land seine Wiederaufarbeitung wieder an, weil es nicht bekommen hat, was es will.

ElBaradei: Diplomatie ist kein Instant-kaffee, den man einrührt und dann hat man die Lösung. Als wir in den neunziger Jahren mit Nordkorea geredet haben, besaß das Land keine Atomwaffen. Dann wurden die Gespräche jahrelang eingestellt. Jetzt haben sie Atomwaffen. Es ist natürlich derzeit keine erfreuliche Situation. Aber wenn wir nicht mit Nordkorea reden, wird sie nur noch schlimmer. Man muss den Standpunkt der Gegenseite begreifen. Man braucht Zuckerbrot und Peitsche, weder das eine noch das andere wirkt alleine. Sanktionen alleine lösen keine Probleme.

SZ: Welche Schwächen des Atomwaffensperrvertrags müssten behoben werden, um solche Krisen künftig vermeiden zu können?

ElBaradei: Fünf Punkte! Erstens: Die Atommächte müssen endlich ihre Abrüstungsverpflichtung ernstnehmen. Zweitens: Wir müssen den Brennstoffzyklus internationalisieren, um zu verhindern, dass Anreicherungs- und Wiederaufarbeitungstechnologie sich weiter verbreiten. Drittens: Kollektives Handeln gegen die Möglichkeit des nuklearen Terrorismus. Viertens: Die Atomenergiebehörde muss das Recht und die Ausstattung bekommen, um überall verlässliche und vollständige Kontrollen vorzunehmen, auch in Bezug darauf, ob es nicht deklariertes nukleares Material oder Anlagen gibt. Fünftens: Wir brauchen einen UN-Sicherheitsrat, der die moralische Autorität hat, Länder zu konfrontieren, die sich nicht an die Spielregeln halten. Das alles muss geschehen, wenn der Atomwaffensperrvertrag den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts standhalten soll.

SZ: Herr ElBaradei, Sie haben angekündigt, dass Sie aufhören werden. Welche Eigenschaften und Qualifikationen muss Ihr Nachfolger mitbringen?

ElBaradei: Es ist nicht wichtig, aus welchem Land er stammt, und ich hoffe, dass es nicht nach geographischer Herkunft oder ähnlichen traditionellen UN-Kriterien geht. Unabhängigkeit ist zweifellos das Wichtigste. Diese Behörde beurteilt Regierungen, das ist ziemlich einzigartig. Das heißt: viel Druck von allen Seiten. Die Person muss völlig unabhängig und objektiv sein. Zweitens muss sie sich mit der ganzen Breite der Themen auskennen, die wir bearbeiten, von der Entwicklungs- bis zur Sicherheitspolitik. Und sie muss ein Manager sein. Ich habe 2500 Mitarbeiter zu managen, aber auch die Beziehungen zu 145 Mitgliedstaaten mit gegenläufigen Interessen. Und ein bisschen diplomatisches Geschick wäre wohl auch hilfreich.

© SZ vom 26.09.2008/pir - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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