Atom:Zweierlei Gorleben

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Die Endlagerkommission arbeitet die Geschichte des Salzstocks auf - und kann sich partout nicht einigen. Nun gibt es zwei Versionen des Textes.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Wer wissen will, warum die Suche nach einem Endlager hierzulande so schwierig ist, findet eine Antwort auf Seite 158f. Die Endlagerkommission, die in dieser Woche ihren mehr als 600-seitigen Bericht abschließen will, arbeitet darin die Geschichte des "Erkundungsbergwerks Gorleben" auf, es ist der Zankapfel der deutschen Pro- und Anti-Atom-Bewegung. Wochenlang debattierten die 33 Mitglieder der Kommission über das Kapitel, am Montag fanden sie eine Einigung: Sie arbeiten die Geschichte auf 29 Seiten auf - aber in zwei verschiedenen Versionen.

Version A ist die Fassung der Gorleben-Kritiker. Von "gravierenden Mängeln" ist da die Rede, und es stehen Sätze darin wie: "Aus heutiger Sicht fehlte es an Transparenz wie an nachvollziehbaren, begründeten und akzeptierten Auswahlkriterien." In Variante B fehlen diese Mängel. Hinter ihr steht jener Teil der Kommission, der den Salzstock in Niedersachsen bis heute für prinzipiell geeignet hält. Jener Salzstock, in dem schon ganze Tunnelsysteme errichtet wurden, alle Arbeiten aber mittlerweile ruhen. Selbst der Hinweis auf gewaltige Polizeieinsätze zur Auflösung der "Republik Freies Wendland", einem Prostestcamp über dem Salzstock, taucht in Variante B nicht auf. So hat jede Seite ihre eigene Erinnerung an den Salzstock Gorleben.

Auch Erkenntnisse über die geologische Situation unter Tage erscheinen nun im Kommissionsbericht in zweierlei Licht. So verweisen beide Varianten auf Studien, die dem Salzstock wasserführende Schichten attestierten, den sogenannten Anhydrit. Doch wahlweise wurden diese Hinweise anschließend ignoriert (Variante A) oder "planmäßig" befolgt (Variante B). Es gibt in den beiden Geschichtsversionen nahezu wortgleiche Sätze - nur enthält derselbe Satz in A ein "nicht", das in B fehlt. Derart tiefe Gräben trennen die Kommission auch kurz vor ihrem Abschluss. "Nach zwei Jahren kann man feststellen, dass sich Gorleben wie ein roter Faden durch unsere Diskussionen gezogen hat", sagte Klaus Brunsmeier, der für den Umweltverband BUND in dem Gremium saß. Er hätte Version A gern sogar noch schärfer gehabt.

Trotz der Gräben wollte die Kommission noch am Montag ihre Beratungen abschließen, ihr Mandat läuft Ende des Monats aus. Dann soll der Bericht dem Bundestag übergeben werden, der alle weiteren Schlüsse daraus ziehen muss. Unter anderem soll die Kommission festlegen, wie das Verfahren einer neuen Endlagersuche ablaufen soll, welchen Kriterien ein Endlager genügen muss, und wie Öffentlichkeit und Betroffene frühzeitig in die Suche eingebunden werden können. Bei Redaktionsschluss dauerten die Beratungen noch an. Zu den zwei Versionen beschloss die Kommission übrigens noch einen Zusatz: Darin bedauert sie, keine gemeinsame Position gefunden zu haben. Da widersprach mal keiner.

© SZ vom 28.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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