Arzneimittel:Schneller forschen ohne Ethik

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Ein geplantes Gesetz verfolgt das Ziel, Pharmastudien industrie- und forschungsfreundlich zu gestalten. Wo bleibt in Zukunft die Menschenfreundlichkeit? Die Politik darf sich nicht zum Handlanger der Industrie machen.

Von Christina Berndt

Eine Klarstellung vorneweg: Die Arbeit der Pharmaindustrie kann ein Segen für die Menschheit sein; Patienten erwarten sehnlichst neue Medikamente. Aber, auch das ist ein Faktum: Wenn neue Therapien entwickelt werden, dann muss es zwangsläufig Menschen geben, die sie als Erste erproben. Dass dies im Rahmen bestmöglich kontrollierter klinischer Studien und mit minimiertem Risiko zu geschehen hat, sollte eigentlich selbstverständlich sein.

Umso erschreckender ist es da, dass die neuesten Pläne der Bundesregierung die unabhängige Überprüfung solcher klinischen Studien torpedieren. Bislang haben hierzulande eigenständig handelnde Ethikkommissionen Sorge dafür getragen, dass Arzneimittelstudien an Menschen nicht nur im Sinne der auftraggebenden Pharmafirmen gestaltet sind, sondern vor allem im Sinne der Testpersonen und Patienten. Doch der "Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften", der gerade vom Kabinett verabschiedet wurde, beschneidet Unabhängigkeit und Durchsetzungskraft dieser Ethikkommissionen empfindlich. Der Schutz der Menschen, die sich für solche Studien zur Verfügung stellen, wird damit aufgeweicht.

Dem Entwurf zufolge kann sich das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bfarm) über die Voten der Kommissionen hinwegsetzen und diese im Bedarfsfall sogar abberufen. Zugleich schwebt drohend die Möglichkeit im Hintergrund, dass das Bundesgesundheitsministerium mit der Einberufung einer Bundes-Ethik-Kommission direkt am Bfarm alle bisherigen Ethikkommissionen überflüssig machen kann - und zwar am Bundesrat vorbei. Übersetzt heißt das: Sollten die Studien nicht im Sinne der Industrie beschieden werden, macht das eben das Bfarm. Das Gesetz hat offenbar wie die neue EU-Verordnung zu klinischen Studien an Menschen, in deren Folge das Gesetz nötig wurde, vor allem ein Ziel: Pharmastudien industrie- und forschungsfreundlich zu gestalten; das heißt nicht unbedingt menschenfreundlich.

Klinische Studien sind unverzichtbar. Aber sie sind immer Experimente am Menschen, wie zuletzt der Todesfall bei einem Medikamententest in Frankreich zeigte. Eine stärkere Kontrolle ist nötig, nicht eine schwächere: Im Sinne aller Probanden und Patienten muss es ein Ethikvotum geben, das von der Arzneimittelbehörde komplett unabhängig ist. Schließlich ist diese Behörde auch für die Zulassung des Arzneimittels und für die Genehmigung der klinischen Prüfungen zuständig - und ihre Arbeit diesbezüglich wird ebenso wie die klinische Studie selbst von der Pharmaindustrie bezahlt. Interessenkonflikte liegen auf der Hand.

Natürlich möchte kein Unternehmen, dass ein Patient schwere Nebenwirkungen erleidet; aber die Firmen wollen ihre Medikamente möglichst schnell durch die klinische Prüfung bringen. Wie nötig ein genaues Hinsehen ist, zeigt die tägliche Erfahrung der Ethikkommissionen. Regelmäßig liegen dort Anträge für Studien vor, in denen Probanden unnötigen Risiken ausgesetzt werden.

Fast nie geht ein Antrag durch, ohne dass die Kommissionen zum Schutze der Patienten Änderungen verlangen. Und nicht selten bedanken sich die Ärzte, welche die Studien im Auftrag der Industrie durchführen, am Ende, weil sie sich nur mit Hilfe der Ethikkommissionen gegen die Interessen der Geldgeber durchsetzen konnten.

Bundesrat und Bundestag dürfen sich mit dem neuen Gesetz nicht zum Handlanger der Industrie machen.

© SZ vom 26.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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