Armut und Terror:Auf falscher Fährte

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Der gängigen Lehre zum Trotz: Armut verursacht den Terror nicht.

Arne Perras

(SZ vom 11. September 2002) - Wer die Ursachen des Terrors vom 11.September zu ergründen sucht, stößt auf ein Argument, das sich auf den ersten Blick besonders aufdrängt. Im Kern lautet es so: Den Nährboden für Terrorismus bildet die globale Armut. Nach den Angriffen in New York und Washington konnte man die Stimmen von Entwicklungspolitikern und Anwälten der Dritten Welt vernehmen, die Versäumnisse der Armutsbekämpfung anprangerten.

Sie machten die wachsende Kluft zwischen Nord und Süd dafür verantwortlich, dass international operierende Gruppen wie al Qaida heranwachsen konnten. Damit legten sie nahe, dass der Kampf gegen die Armut noch immer das beste Rezept gegen den Terror biete.

Doch passt Osama bin Laden und seine Truppe in dieses Bild? Schon die Täterprofile stehen im Widerspruch zur Armutsthese, denn jeder weiß, dass bin Laden nicht gerade elenden Verhältnissen entstammt. Was für radikale Islamisten im Allgemeinen gilt, trifft auch auf die Attentäter des 11. September zu.

Sie entstammen der Mittelschicht, das Leben im Slum haben sie nie erlebt, und sie mussten nie Hunger leiden. Wer wirklich arm ist, hat für Terrorpläne gegen Washington und den Westen keine Zeit. Er muss ums tägliche Überleben ringen, den Hunger von sechs, acht oder auch zwölf Kindern stillen.

Viele dieser Menschen ertragen ihr Schicksal klaglos, andere schließen sich kriminellen Banden an, um sich zu versorgen. Aber eine internationale Terror-Agenda verfolgt in den Elendsvierteln niemand, weder in Jakarta, noch in Lagos oder La Paz.

Wo sich in der armen Welt Verzweiflung und politischer Zorn in Gewalt entladen, geht es meist darum, Macht und Ressourcen in der Region neu zu verteilen. Der koloniale Ausbeutungsstaat von einst schuf politische und wirtschaftliche Asymmetrien, die nach der Unabhängigkeit oft in Bürgerkriege mündeten.

Wer sich in Ländern Afrikas, Asiens oder Lateinamerikas als Rebell versteht, den brandmarken die Machthaber in den Regierungszentralen oft als Terroristen, nach dem 11. September noch häufiger als zuvor. Aber die sozialen und politischen Spannungen, die viele Länder der Dritten Welt destabilisieren, haben mit Osama bin Laden und dessen Agenda wenig zu tun.

Für die meisten Armen sind die USA und ihre westlichen Verbündeten keine Erzfeinde, die es zu zerstören gilt. Millionen träumen davon, in ein Schiff oder Flugzeug zu steigen, um im Norden ein besseres Leben anzufangen. Der Gedanke, ein Flugzeug in einen Wolkenkratzer zu steuern oder eine Bombe in einer U-Bahn zu zünden, liegt ihnen fern.

Im Schreckenswerk von al Qaida manifestiert sich also nicht der Protest der Geknechteten. Nicht einmal in Nahost, wo Unterentwicklung durchaus als Demütigung empfunden wird, ist wirtschaftliche Not die Haupttriebfeder des radikalen Islamismus. Vielmehr sind es vor allem politische, religiöse und kulturelle Faktoren, die den Terrorismus nähren.

Die Ideologie-Piraten

Gleichwohl lässt sich die Armut mit Blick auf den 11. September nicht völlig ausblenden, weil bin Laden und seine Gefolgschaft das Elend für ihre Zwecke zu missbrauchen wissen. Armut dient ihnen als Vorwand, den mörderischen Weg gegen die USA zu rechtfertigen. Al Qaida kapert nicht nur Flugzeuge, sondern auch anti-westliche Ideologien. Eine davon besagt, dass die USA und ihr Hegemonialstreben Not und Hunger über die Welt bringt.

Die Drahtzieher des Terrors betätigen sich also als Ideologie-Piraten und präsentieren sich als Paten der Sprachlosen, obgleich sie deren Mandat gar nicht besitzen. Wenn es der reichen Welt gelingt, die globale Armut zu mindern, entzieht sie den Terroristen zwar ideologischen Boden. Aber das garantiert nicht, dass al Qaida ausgeschaltet ist. Insofern ist es irreführend, wenn Armutsbekämpfung als wichtiges Rezept gegen den Terror propagiert wird.

Es gibt eine Menge moralische, politische und ökonomische Gründe, Hunger und Elend stärker zu bekämpfen. Sie reichen längst aus, um eine Erhöhung der Hilfe zu rechtfertigen. Die Vorstellung, dass Armut Terroristen hervorbringt, gehört aber ins Reich der Mythen. Wer sie nährt, mag dies aus dem Kalkül heraus tun, mehr Aufmerksamkeit für Entwicklungshilfe zu gewinnen. Aber er riskiert so auch ein Stück Glaubwürdigkeit.

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