Archäologie am Tempelberg:Steine des Anstoßes

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Im Grunde handelt es sich nur um Steine und Tonscherben. Doch die Proteste der Palästinenser gegen die Grabungen am Tempelberg verdeutlichen, warum Archäologie in Jerusalem ein hochpolitisches Thema ist.

Franziska Seng

Der Tempelberg im Herzen Jerusalems ist Muslimen wie Juden heilig - und zugleich einer einer wundesten Punkte des Nahost-Konfliktes. Im Kleinen bietet sich hier ein konzentriertes Abbild des Dilemmas zwischen Juden und Moslems: Beide Gruppen haben einen historischen Anspruch auf den heiligen Berg wie auf das Land Israel, beide Seiten kämpfen um das Vorrecht.

Grabungen am Mauerbezirk des Tempelberges, im Hintergrund die provisorische Rampe und der Felsendom. (Foto: Foto: dpa)

Gräbt nun ein Archäologe an diesem symbolträchtigen Ort, wird jeder Spatenstich zum Politikum, denn: Funde aus der Vergangenheit könnten politische Ziele rechtfertigen. Ähnlich wie der Besuch Ariel Scharons auf dem Tempelberg im Jahr 2000 bergen symbolische Gesten und Handlungen den gleichen Sprengstoff wie reale Angriffe auf religiöse Einrichtungen.

Heftige Protesten begleiteten das Vorhaben am Jerusalemer Tempelberg, derartige archäologische Grabungen und Bauarbeiten vorzunehmen. Der Ort beherbergt den Felsendom und die Al-Aksa-Moschee und gilt, nach Mekka und Medina, als drittheiligste Wallfahrtsstätte des Islams. Gleichzeitig vermutet man dort Stelle die Reste des ersten und zweiten Tempels aus der Zeit des Salomon und des Herodes.

Die Hoheit über das Areal haben seit Jahrhunderten die Muslime, auch mit der Eroberung Jerusalems im Sechs-Tage-Krieg hat sich dies nicht geändert. Die Zeit des jüdischen Tempels ist vergangen, die muslimischen Bauten sind Realität; so suchen die Juden für ihre Gebete die Klagemauer auf, die die westliche Begrenzung des Areals markiert.

Zugang für Nicht-Muslime

Zum "Haram el-Sharif" wie der Ort im Arabischen genannt wird, gibt es mehrere Zugänge, allerdings nur einen für Nicht-Muslime. Er führt über eine Rampe, die bereits seit 2000 Jahren besteht, die jedoch vor zwei Jahren unterspült und schwer beschädigt worden war.

Seitdem konnte der Zutritt nur über einen provisorischen Holzsteg erfolgen, der nun wieder durch eine gemauerte Rampe ersetzt werden soll. Aus Gründen des Denkmalschutzes muss in Israel vor jeder neuen Bautätigkeit eine archäologische Sondierung vorgenommen werden, wie es auch im Zuge des Neubaus für die Zugangsrampe geschah.

Die Palästinenser reagieren jedoch grundsätzlich empfindlich, wenn israelische Behörden am Tempelberg, der ihrer Verwaltung obliegt, Hand anlegen: "Israel darf im Gebiet nichts berühren, ganz gleich, ob es sich um eine Rampe handelt oder um Ausgrabungen", so Sahi Ndscheiat, Sprecher der arabisch-israelischen Bewegung. Aufgrund der palästinensischen Proteste hat Jerusalems Bürgermeister Uri Lupolianski das Bauvorhaben aufgeschoben, nicht jedoch die archäologischen Tätigkeiten.

Unterhöhlung der Fundamente

Die muslimische Organisation "Waqf" ist offiziell mit der religiösen Oberaufsicht über die Heiligtümer auf dem Berg betraut. Deren Sprecher werfen der israelischen Seite vor, mit ihren Tätigkeiten Veränderungen an den Fundamenten des Tempelberges vorzunehmen, die wiederum zum Einsturz des gesamten Bauwerkes führen würden.

Die palästinensischen Vorwürfe beziehen sich jedoch nicht nur auf die faktischen Grundmauern und Fundamente des Areals. Vielmehr befürchten die Moslems eine metaphorische Unterhöhlung ihrer Souveränität über den heiligen Berg und ihrer Religion, wenn Archäologen im Staub der Vergangenheit graben.

Denn wer am Tempelberg die Wurzeln der eigenen Kultur nachweisen kann, hat im Grunde auch Anspruch auf das ganze Areal, das ganze Land. Antike Funde können instrumentalisiert werden, um politische Ziele zu legitimieren.

Hamadan Taha, Chef der palästinensischen Altertumsverwaltung, sieht die Tätigkeiten jüdischer Archäologen als subversive Angriffe auf den muslimischen Glauben: "Die meisten israelischen Forscher sind immer noch biblische Archäologen. Sie verstehen Archäologie als Rechtfertigung des zionistischen Projektes."

Tatsächlich gibt es extreme zionistische Strömungen, die den Tempelberg für die Ankunft des "Dritten Tempels", der der Überlieferung nach direkt vom Himmel kommen soll, "vorbereiten" wollen. Die Tempel-Ausstattung wird bereit gehalten, jährlich wird eine symbolische Grundsteinlegung zelebriert.

Immer wieder Ausschreitungen

Grundsätzlich sind archäologische Tätigkeiten auf dem Areal für israelische Behörden verboten. In den siebziger Jahren grub man bei der Neugestaltung Jerusalems außerhalb, an der Böschung des südlichen Tempelblocks, wo man Reste byzantinischer Läden und einer römischen Straße fand.

Im Jahr 1996 kam es zu Ausschreitungen, bei denen 80 Palästinenser starben, als von israelischer Seite der antike Hamsmonäer-Tunnel geöffnet worden war, der entlang der Außenmauer, unter arabischen Häusern verläuft. Streitigkeiten entbrannten auch über nötige Reparaturarbeiten an der Außenmauer, an der sich eine große Beule gebildet hatte. Die Waqf weigerte sich, nicht-muslimische Restauratoren zuzulassen, weswegen Experten aus Jordanien hinzugezogen werden mussten.

Die gravierendsten Folgen hatte jedoch der Besuch Ariel Scharons auf dem Tempelberg im Jahr 2000, der letzten Endes die zweite Intifada auslöste. Auch damals ging es um archäologische Streitigkeiten, allerdings kamen die Vorwürfe von israelischer Seite: Scharon wollte nach eigenen Angaben Gerüchten nachgehen, nach denen die Waqf Bauarbeiten am Fundament des Tempelberges vornehme und Hinterlassenschaften aus der Zeit des Salomo und des Herodes vernichte.

Baufällige Fundamente

Tatsächlich wurde von muslimischer Seite bei der Erweiterung der Moschee auf dem Tempelberg tonnenweise Erdreich ausgehoben, ohne dieses auf archäologische Funde aus jüdischer Zeit zu untersuchen. Es ist wahrscheinlich, dass bei solchen Untersuchungen Reste des ersten und zweiten Tempels zu finden gewesen wären, schließlich sollen beide der Überlieferung nach an Stelle der muslimischen Heiligtümer platziert gewesen sein.

Fakt ist, dass der Tempelberg mittlerweile an mehreren Stellen schwer baufällig ist; nicht nur aufgrund des Alters, sondern auch wegen regionaler Erdbeben. Da jedoch der Streit um die Vorrechte auf dem Areal einen wunden Punkt berührt, können notwendige Erneuerungsarbeiten, wie sich jetzt wieder im Falle der Fußgängerrampe zeigt, nicht oder nur sehr schwierig durchgeführt werden.

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