Arbeitswelt:Frauenfeindliche Revolution

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Arbeitnehmer Algorithmus: Die klassische Sekretärin der Sechziger Jahre hat ausgedient. (Foto: Getty Images)

Arbeitnehmer Algorithmus: Die digitale Vernetzung gefährdet Jobs gerade von Frauen - vor allem in Sekretariaten und an Kassen.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Arbeitswelt 4.0, das ist ein Code, der für Verheißung steht, aber auch für Angst. Er steht für die nächste Revolution der Arbeitswelt, die vierte. Nach der Erfindung der Dampfmaschine, der Fließbandarbeit und des Computers könnte die fortschreitende digitale Vernetzung künftig Millionen Menschen die Arbeit erleichtern - oder ihre Berufe überflüssig machen. Als gefährdet gelten besonders wenig qualifizierte Tätigkeiten. Aber auch überdurchschnittlich viele Frauen könnten feststellen, dass sie beruflich in einer Hochrisikozone unterwegs sind - und der technische Fortschritt sie im Vergleich zu Männern noch ärmer macht als ohnehin schon.

Die Top 10 der gefährdeten Berufe, also die zehn Tätigkeiten, die in Zukunft am leichtesten durch Roboter und Algorithmen ersetzbar sind, werden in Deutschland zu 80 Prozent von Frauen ausgeübt. Betroffen sind als besonders Tätigkeiten im Sekretariat, dann Verkäuferinnen, dann Arbeitskräfte in der Gastronomie. Das ergab eine Untersuchung, die der Forscher Markus Grabka für das deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erstellt hat. Grabka stellte seine Ergebnisse kürzlich bei einem Kongress über die Folgen der Digitalisierung für die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern vor. Dabei betonte er, dass es sich um eine Prognose handle, also um einen Blick in eine ungewisse Zukunft. Zum anderen seien Folgen der Technisierung bisher kaum in Hinblick auf weibliche Arbeitskräfte erforscht. Und auch die bereits vorliegenden Daten seien mit Vorsicht zu genießen.

Fast jeder zweite Job in den USA könnte in den nächsten 20 Jahren der Digitalisierung zum Opfer fallen, schrieben die US-Forscher Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne 2013. Ihre Untersuchung ergab, dass gerade Menschen in Routinejobs das "Rennen gegen die Maschinen" verlieren werden. Sicherer lebten dagegen Leute mit kreativen Berufen und solche, für deren Jobs soziale Intelligenz erforderlich sei, also Tätigkeiten wie Verhandeln, Überzeugen oder Pflegen. 47 Prozent der Tätigkeiten in den USA seien von der vierten industriellen Revolution bedroht.

Die Studie von Frey und Osborne gilt unter Forschern inzwischen als Worst-Case-Szenario. Eine Untersuchung der Unternehmensberatung A.T. Kearney übertrug ihre Ergebnisse auf Deutschland - und kam zu ähnlich alarmierenden Ergebnissen: 47 Prozent der Jobs in Deutschland seien durch Digitalisierung bedroht. Dies sei ein "Extremszenario", sagt DIW-Forscher Grabka. Dennoch lieferten die Untersuchungen Hinweise, dass so sogenannte Frauenberufe zu Hochrisikojobs werden könnten. Neben Buchhalterinnen, in Deutschland zu 78 Prozent Frauen, könnten auch Bankkaufleute eines Tages überflüssig werden. In Deutschland sind sie mehrheitlich weiblich.

Ganz anders sieht es laut DIW bei den ungefährdeten Berufen aus. Hier arbeiten zu 70 Prozent Männer, als Führungskräfte, Maschinenbauer, Kraftfahrzeugtechniker. Die Top 10 der ungefährdeten Berufe allerdings werden von zwei sogenannten Frauenberufen angeführt: von Erzieherin und Krankenpflegerin. Zuwendung und Empathie sind nicht durch Maschinen zu ersetzen, von ersten Pflegerobotern in Japan einmal abgesehen. Unterm Strich aber könnte der Arbeitsmarkt der Zukunft die Einkommenslücke zwischen Männern und Frauen noch größer machen als heute. Denn während der "Gender Pay Gap" in bedrohten Berufsfeldern wie dem Sekretariat bei etwa 20 Prozent liegt, macht er bei ungefährdeten Berufen rund 30 Prozent aus. Pflege- und Gesundheitskräfte verdienen gemessen am Durchschnitt in Deutschland am schlechtesten in Europa.

Die Aussichten sind also ernüchternd für Frauen, jedenfalls so lange ihre Präsenz in Chefetagen nicht erheblich wächst und ihr Interesse an naturwissenschaftlich-technischen Berufen nicht zunimmt. Danach aber sieht es nicht aus. Von 2001 bis 2010 stieg der Frauenanteil in MINT-Berufen laut Statistischem Bundesamt nur von 15 auf 16 Prozent, bei Männern von 42 auf 46 Prozent. Und auch der Profit aus der Arbeitswelt 4.0 fließt vornehmlich in Männertaschen. Im obersten Zehntel der Verdienstskala wird laut DIW nur jeder Fünfte abhängig Beschäftigte weiblich sein.

Anlass zu Panik gebe es aber nicht, sagt Monika Queisser von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Sie sieht nicht die Hälfte, sondern eher zwölf Prozent der Arbeitsplätze in Deutschland als gefährdet. Vorläufige Zahlen der OECD bestätigten aber tatsächlich, dass Tätigkeiten, die Frauen ausüben, besonders stark vor Automatisierung bedroht seien. Die Vermutung liege nahe, dass eine relativ traditionelle gesellschaftliche Arbeitsteilung wie in Deutschland die Risiken der Digitalisierung verstärkten. "Frauen werden bei der Weiterbildung schon heute weniger berücksichtigt", sagt Queisser. "Sie dürfen den Zug nicht verpassen."

© SZ vom 28.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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