Anschlag auf Weihnachtsmarkt:Der Schock von Berlin

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Zwölf Tote, Dutzende Verletzte: Der Islamische Staat reklamiert die Attacke auf dem Weihnachtsmarkt für sich. Die Polizei nimmt schnell einen Verdächtigen fest, doch sie muss ihn wieder freilassen. Der wahre Täter ist noch flüchtig.

Von Annette Zoch, München

Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hat den Angriff auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin für sich in Anspruch genommen. Der Täter sei ein "Soldat des Islamischen Staates" gewesen, meldete das IS-Sprachrohr Amak am Dienstagabend im Internet. Die Echtheit der Nachricht ließ sich zunächst nicht verifizieren. Sie wurde aber über die üblichen IS-Kanäle im Internet verbreitet. Auch die Form der Erklärung entspricht früheren Bekenntnissen der Extremisten. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) wollte sich am Abend dazu zunächst nicht äußern.

Wer am Steuer des Sattelschleppers saß, der am Montagabend über den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche gerast ist und mindestens zwölf Menschen in den Tod gerissen hat, konnten die Ermittler am Tag danach noch nicht sagen. Ein am Montagabend festgenommener 23-Jähriger, der laut de Maizière aus Pakistan stammen soll und im Dezember 2015 nach Deutschland einreiste, ist nicht der Täter. Er wurde am Dienstagabend wieder freigelassen. Es sei kein Haftbefehl beantragt worden, teilte die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe mit. Die Ermittlungen hätten keinen dringenden Tatverdacht ergeben, außerdem hätten die kriminaltechnischen Untersuchungen keinen Beleg erbracht, dass der Mann im Führerhaus des Lastwagens gesessen habe.

Am Tag danach: ein Bild des zerstörten Weihnachtsmarktes. (Foto: Markus Schreiber/AP)

Der wahre Täter ist damit noch nicht gefasst. Ein Augenzeuge hatte am Montagabend der Polizei berichtet, er verfolge den flüchtigen Fahrer des Lkw in Richtung Tiergarten. Nach Angaben des Berliner Polizeichefs Klaus Kandt war der Augenzeuge bei der späteren Festnahme des Pakistaners an der Siegessäule aber nicht mehr dabei. Offenbar hatte der Verfolger ihn aus den Augen verloren. Aus Sicherheitskreisen hieß es, Figur und Kleidung des Flüchtenden stimmten mit denen des zunächst verhafteten Mannes überein, andere Kennzeichen aber nicht. Bereits wenige Stunden vor der Freilassung des Mannes hatte Generalbundesanwalt Peter Frank bestätigt, dass es an der Schuld des Mannes Zweifel gibt: "Wir müssen uns mit dem Gedanken vertraut machen, dass der gestern Abend als Verdächtiger Festgenommene eventuell nicht zur Tätergruppe gehört", sagte er bereits am Nachmittag. Die Ermittler wüssten nach wie vor nicht, ob es sich um einen oder mehrere Täter handelt. "Wir sind natürlich hoch alarmiert", sagte der Chef des Bundeskriminalamtes, Holger Münch.

Dafür verdichten sich auch nach Ansicht der Ermittler die Hinweise, dass es sich tatsächlich um einen Terroranschlag gehandelt habe. Hierfür spreche die Art der Tat, die an das Attentat von Nizza im Juli erinnere, sowie der "Modus Operandi", so Frank: Weihnachtsmärkte würden wegen ihres hohen symbolischen Wertes schon seit Langem in den Aufrufen dschihadistischer Terrororganisationen als Ziele genannt.

Noch unklar ist, wie der Täter an den Lkw gelangt ist. In der Fahrerkabine des polnischen Sattelschleppers fand die Polizei die Leiche des 37-jährigen Lukasz U., eines Fahrers der Spedition aus der Nähe von Stettin. Sein Cousin Ariel Zurawski, Inhaber der Spedition, berichtete, dass er Lukasz U. auf einem Polizeifoto identifiziert habe. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen soll der Fahrer mit einer kleinkalibrigen Waffe erschossen worden sein; die Waffe ist noch nicht gefunden. Lukasz U. sollte Baustahl aus dem italienischen Turin nach Berlin bringen. Weil der Lkw zu früh bei der Thyssen-Krupp-Schulte-Niederlassung eintraf, konnte er nicht sofort entladen werden und parkte am Friedrich-Krause-Ufer. Lukasz U. telefonierte noch einmal mit seinem Chef. Von 16 Uhr an sei er nicht mehr erreichbar gewesen. Die GPS-Daten zeigen, dass das Fahrzeug nach 16 Uhr mehrmals gestartet worden sei. Möglicherweise habe ein Entführer geübt, den Sattelschlepper zu fahren. Um 19.45 Uhr sei dann der Wagen vom Parkplatz gerollt.

Schweigen: Berlins Bürgermeister Michael Müller, Bundeskanzlerin Angela Merkel und Innenminister Thomas de Maizière am Ort des Anschlags. (Foto: Hannibal Hanscke/Reuters)

Bundeskanzlerin Angela Merkel besuchte am Dienstag mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller den Anschlagsort. "Dies ist ein sehr schwerer Tag", sagte sie. Merkel versprach eine harte Bestrafung des Täters und fügte hinzu: "Auch wenn es in diesen Stunden schwerfällt: Wir werden die Kraft finden für das Leben, wie wir es in Deutschland leben wollen: frei, miteinander und offen." CSU-Chef Horst Seehofer erhöhte den Druck auf die CDU in der Zuwanderungspolitik: Das CSU-Präsidium stellte das für Februar geplante Spitzentreffen mit der CDU unter Vorbehalt. Vorher müssten zentrale Fragen in der Flüchtlingspolitik geklärt werden. In Berlin blieben am Dienstag die Weihnachtsmärkte geschlossen. Bundespräsident Joachim Gauck, Merkel und viele andere Politiker besuchten einen Trauergottesdienst in der Gedächtniskirche.

© SZ vom 21.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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