Anschläge von Madrid:Unter den Tränen der Könige

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Bei der Trauerfeier in der Madrider Kathedrale gedachten Spaniens König Juan Carlos und seine Gattin Sofia mit Angehörigen und Staatsmännern der Opfer des Bombenanschläge.

Von Peter Burghardt

(SZ vom 25.3.2004) - Niemand hatte geahnt, dass Madrids Kathedrale in diesem Frühling Schwarz tragen würde. Der Tempel mit dem Namen Almudena wurde bereits weiß ausgestattet, denn am 22.Mai heiratet dort Spaniens Thronfolger Felipe de Borbon seine Verlobte Letizia Ortiz; Hunderte von Staatsgästen und Tausende von Reportern werden zur Hochzeit des Jahres erwartet.

Doch an diesem regnerischen Mittwoch hing eine der schwarzen Schleifen über dem Altar, die seit dem Terroranschlag vom 11.März in der ganzen Hauptstadt zu finden sind, und gegen halb eins füllten 1500 Menschen das Gotteshaus, das nach 100 Jahren Bauzeit Papst Johannes Paul II. im Jahr 1993 eingeweiht hatte. Unter den Trauernden waren Könige und Präsidenten, das Fernsehen übertrug in die ganze Welt. Die Zeremonie galt den offiziell nun 190 Toten des Sprengstoffattentats auf die vier Pendlerzüge und denen, die sie besonders vermissen.

Kritik an katholischer Ausrichtung

500 Verwandte saßen ganz vorne, nahe bei den drei Kardinälen und den 28 Bischöfen. Und nahe bei den Monarchen Juan Carlos und Sofia mit Familie, deren Königspalast gleich nebenan steht und die in diesen Momenten eine besondere Rolle spielen. Einige wenige Angehörige blieben zu Hause, ihnen war das alles zu viel. "Sie laden für jedes Opfer zehn Personen ein, wie viele Leute werden das? 2000?", wunderte sich die Mutter eines ermordeten Jungen, "das ist monströs und komisch, das gefällt mir nicht. Als ob unser Schmerz verkauft würde."

Auch gab es von anderen Religionsgemeinschaften berechtigte Kritik ob der rein katholischen Ausrichtung. In Spaniens Verfassung sind die Konfessionen gleichberechtigt, und in den Waggons starben auch Juden und Muslime. Der Titel Almudena ist sogar arabischen Ursprungs - er steht für die Stadtmauer der ehemaligen Medina (Altstadt), wo die christlichen Eroberer der Legende nach das Bild der Jungfrau von Almudena fanden, der Schutzpatronin Madrids.

Strengste Sicherheitsvorkehrungen

Doch die meisten Angehörigen kamen. Sie mussten strengste Sicherheitsbedingungen und lange Wartezeiten ertragen, ihnen kondolierten ja bedeutende Persönlichkeiten und Politiker. Auf den Stühlen nahmen unter anderem Platz: Prince Charles, Albert von Monaco, Jacques Chirac, Tony Blair, Gerhard Schröder, Leszek Miller, Colin Powell, Carlo Azeglio Ciampi, Prinz Mulay von Marokko, aus dessen Land die meisten mutmaßlichen Bombenleger stammen.

Im Mittelpunkt standen dementsprechend zunächst das Protokoll und die königliche Begrüßung. Die wohl ausgetüftelte Sitzordnung wollte es auch, dass Spaniens Wahlsieger und künftiger Regierungschef José Luis Rodriguez Zapatero sich neben seinem Gegner Mariano Rajoy wiederfand und dass in derselben Holzbank die Regional-Präsidenten der Basken und der Katalanen untergebracht wurden. Sozialist Zapatero traf einige der Staatenführer vor und nach dem Hochamt zu seinem internationalen Debüt, der scheidende Premier José Maria Aznar empfing manche zum Abschied. Aznar reihte sich in der Kirche rechts außen ein, sichtlich betroffen, den Kopf gebeugt.

Politischer Vortrag in der Predigt

Viele weinten, als die Lieder gesungen wurden und Madrids Kardinal Antonio Maria Rouco Varela die Messe las. Er hielt eine klassische Predigt, aber es wurde auch ein politischer Vortrag. Rouco Varela bat, man möge sich "von allen Formen des erbitterten Nationalismus, des Rassismus und der Intoleranz" fern halten - dasselbe hatte der Papst während seines Besuchs im vergangenen Jahr in Madrid gefordert. Die Täter würden "vor der irdischen Justiz und der Justiz Gottes" zur Rechenschaft gezogen.

Man kann nur ahnen, was während der einstündigen Andacht in den Köpfen derjenigen vorging, deren Töchter, Väter oder Ehemänner von islamistischen Fanatikern aus dem Leben gerissen wurden oder noch mit dem Tod kämpfen; drei Schwerverletzte befinden sich in kritischem Zustand, 89 liegen auf der Intensivstation. Der Geistliche riet: Antworten müsse man der "blinden Gewalt und dem unmenschlichen Hass mit der faszinierenden Macht der Liebe".

König Juan Carlos und Königin Sofia trugen ihr Mitgefühl am Ende minutenlang durch die Reihen. Sie schüttelten Hände und sprachen Trost zu, beiden liefen die Tränen übers Gesicht, man wird die Bilder nie vergessen. Dem königlichen Paar folgten die Kinder mit ihren Partnern, zu denen seit einigen Monaten auch die Journalistin Letizia Ortiz gehört. In zwei Monaten wird sie an gleicher Stelle zur Ehefrau von Prinz Felipe. Ihren Polterabend haben die zwei abgesagt.

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