Anschläge von Madrid:"Spaniens größtes Trauma seit dem Bürgerkrieg"

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In politisch vergifteter Atmosphäre beginnt in Madrid der Prozess gegen die Islamisten, die am 11. März 2004 fast 200 Menschen töteten.

Javier Cáceres

Ein Mal nur gerät Pilar Manjon ins Stocken; es ist, als sie gefragt wird, welche Bilder sie sieht, wenn sie an den Tag zurückdenkt, seit dem sie schwarz gekleidet ist und ihre Augen voller Trauer sind und Schmerz. Nur Stille fangen die vor ihr aufgebauten Mikrofone ein, als sie darum ringt, die Erinnerungen zu zähmen.

"Was soll ich sagen", presst sie hervor, und versucht schließlich doch die Chiffre "11-M" in Worte zu kleiden - eine Chiffre, die in Spanien für jenen 11. März 2004 steht, als eine islamistische Terrorzelle den "Heiligen Krieg" nach Europa trug und in der spanischen Hauptstadt Madrid vier Pendlerzüge mit einem Dutzend Bomben in die Luft jagte.

Es war ein Donnerstag, kurz nach halb acht Uhr morgens: "Dieses Suchen und Suchen und Suchen, um doch nichts zu finden - außer: Hoffnungslosigkeit", flüstert Manjon. Es war der blutigste Terrorakt in Spaniens Geschichte, mit 1824 Verletzten und 191 Toten, auch Manjons Sohn David Paz, ein damals 20 Jahre alter Student, starb.

Vom heutigen Donnerstag an wird Spaniens Nationaler Gerichtshof 29 mutmaßlichen Bombenlegern, Drahtziehern und Gehilfen den Prozess machen. Der Prozess findet in einer Messehalle im Stadtpark Casa de Campo statt, spektakuläre Sicherheitsvorkehrungen zu Lande und in der Luft wurden angekündigt. Mehr als 600 Zeugen sind geladen, zudem 100 Gutachter, die Urteile sollen im Oktober fallen.

Die Unglückswahl

"Mit viel Schmerz, Zorn, Ohnmacht und der Angst davor, das Geschehene wieder zu erleben" würden Hinterbliebene dem Prozess entgegenblicken, sagt Manjon, die der größten Opferorganisation vorsteht. Aber eben auch mit einer Hoffnung. "Wir werden nicht die ganze Wahrheit erfahren. Aber doch einen Teil von ihr." Kein Gut benötigt Spanien dringender als dies.

Es ist mehr als ein Prozess, der nun beginnt, nicht nur wegen des monströsen Ausmaßes der Tat, die Spanien "das größte Trauma seit dem Bürgerkrieg" bereitet hat, wie ein hochrangiger Gerichtsvertreter sagt. Sie habe dem Gericht seinen medienträchtigsten, vor allem aber den "politisiertesten Prozess" beschert; dass die Richter um den Vorsitzenden Javier Gomez Bermudez unter enormem Druck stehen, bezweifelt niemand.

Das Attentat hat nicht nur ein ungeahntes Ausmaß an Blut und Tod über ein mit Terror allzu vertrautes Land gebracht, sondern auch den Giftpilz der Spaltung und der Diffamierung, sie macht nicht mal vor den Opfern und ihrer Trauer Halt. "Unser Unglück ist, dass drei Tage nach dem Attentat Wahlen stattfanden", sagt Manjon - und dass damals die Macht von der konservativen Volkspartei PP zu den Sozialisten des jetzigen Regierungschefs Jose Luis Rodriguez Zapatero wechselte. Die PP hat das nicht verwunden, auch deshalb tobt in Spanien ein Lagerkampf mit würdeloser Brutalität.

Es war der blutigste Terrorakt in Spaniens Geschichte, mit 1824 Verletzten und 191 Toten. (Foto: Foto: AFP)

Mit zum Teil abenteuerlichen Argumenten versuchen Teile des rechten Lagers bis heute nachzuweisen, die baskische Terrororganisation Eta habe die Metzelei in Auftrag gegeben - mit dem Ziel, die PP aus dem Amt zu bomben. Dies sollte auch jede Assoziation der Gräueltat mit der Beteiligung Spaniens an der Invasion Iraks vermeiden, die der damals scheidende Ministerpräsident Jose Maria Aznar verteidigte.

PP-freundliche Medien wie Cope, die Radiostation der Bischofskonferenz, sowie die Zeitung El Mundo lassen kaum einen Tag vergehen, an dem sie nicht mit zumeist hanebüchenen Enthüllungen über den Hergang aufwarten; den Chor dazu bilden bösartig anmutende Suggestivfragen der Hardliner aus der konservativen Opposition. Sie gefallen sich in dem offensichtlichen Versuch, einen Schatten auf die Legitimität der sozialistischen Regierung zu werfen, deren erste Amtshandlung von der Mehrheit der Spanier goutiert wurde: Die Truppen aus dem Irak zurückzuziehen.

Verschwörungstheorien aus dem rechten Lager

Im Kern dreht sich die haltlose Konspirationstheorie um angeblich vertuschte oder hinzugefügte Beweise, sowie um zwielichtige Figuren aus dem Milieu der Verdächtigen. Nicht wenige waren V-Männer der Sicherheitsbehörden, manche standen wegen Kleinkriminalität und Drogenhandel im Visier von Ermittlern. Aber Kollaboration mit Eta? "Wer Beweise hat, soll sie vorlegen", sagt Manjon, auch im Wissen darum, dass dem Publikum bisher nur skurrile Debatten über mitunter aberwitzige Indizien vorgeführt wurden.

Wochenlang gingen die Verschwörungstheoretiker der Frage nach, ob Borsäure, ein Hausmittel zur Vernichtung von Kakerlaken, zum Bombenbau taugt - die Substanz war in Hausratskammern von Islamisten und Eta-Kämpfern gefunden worden.

Besonders hartnäckig wird die Frage behandelt, welcher Sprengstoff verwendet wurde. Die Verschwörungstheoretiker unterstellen, es war Titadyn - der Sprengstoff, den Eta bevorzugt. Jedoch kam Untersuchungsrichter Juan Del Olmo in seinen 25-monatigen Ermittlungen klar zu dem Schluss, dass es erstens keinen plausiblen Hinweis auf eine Beteiligung Etas gibt. Und dass die Bomben - zweitens - aus Goma 2 Eco gebaut wurden. Diesen Sprengstoff hatten die Islamisten laut Anklage über einen Hehler namens Jose Emilio Trashorras beschafft. Er stammte aus einem Bergwerk im nordspanischen Asturien.

Trashorras ist einer von sieben Angeklagten, für die der Staatsanwalt jeweils fast 40.000 Jahre Haft fordert, auch Rabei Osman, alias "der Ägypter", zählt dazu. Er soll sich in einem abgehörten Telefongespräch gerühmt haben, das Inferno geplant zu haben: "Alles war meine Idee." Sieben weitere mutmaßliche Täter, darunter Rädelsführer Serhane Ben Abdelmajid alias "der Tunesier", nahmen ihre Geheimnisse mit ins Grab. Sie sprengten sich im April 2004 in einer Wohnung im Madrider Vorort Leganes in die Luft, als diese von der Polizei umstellt worden war. Einen Offizier der Eliteeinheit Geo rissen sie mit in den Tod.

Die Behörden behaupten, dem Septett auf die gleiche Weise auf die Spur gekommen zu sein wie den meisten ihrer mutmaßlichen Mittäter - über abgehörten Mobilfunk. Die Bomben in den Todeszügen waren mit Handys gezündet worden. Weil einer von drei Blindgängern entschärft werden konnte, hatten die Ermittler nur Stunden nach den Attentaten eine erste Spur, sie führte ins Immigrantenviertel Madrids, Lavapies. Die Telefone waren dort in einem Telefonladen gekauft worden, ihre Sim-Karten hatten aufeinanderfolgende Serien-Nummern. Der Inhaber Dschamal Zougam wurde bereits am 13. März verhaftet - auch ihm drohen fast 40.000 Jahre Haft.

"Keine Terrorzelle, ein Heer"

Dass Zougam der erste auf einer Liste von 115 unverzüglich Festgenommenen war, zeigt in den Augen des Sprechers der fast 30 Pflichtverteidiger, Eduardo Garcia Peña, wie groß der Druck auf die Behörden war, schnell Erfolge zu präsentieren. Und wie sie dabei übers Ziel hinausschossen: "120 Leute, das ist keine Terrorzelle - das ist ein Heer!"

Manche der einst Verdächtigen mit den nunmehr ruinierten Biographien werden nicht mal mehr als Zeugen benötigt. Auch sonst sei das Ermittlungsverfahren ein Desaster gewesen, die Verteidiger hätten ihren Klienten keine rechtsstaatliche Verteidigung angedeihen lassen können, schimpft Garcia. Erst im Oktober erhielten die Advokaten den 93226 Seiten starken Ermittlungsbericht - ohne ausreichend Zeit, ihn zu studieren.

"Die Hieroglyphen" nennt der Anwalt das Kompendium, es sei unverständlich, weil flüchtig zusammengeschustert. Die Zeit habe gedrängt, in Spanien läuft nach vier Jahren die Untersuchungshaft ab. Erst im Oktober 2006 hätten die Pflichtverteidiger auf Übersetzer zurückgreifen können - zuvor habe man sich mit vielen Angeklagten nur mit Händen und Füßen verständigen können, die meisten der mutmaßlichen Täter stammen aus Marokko, geben an, kein Spanisch zu können. Die Anwälte haben einen Antrag auf Nichtigkeit des Verfahrens gestellt, entschieden wird vor der Urteilsverkündung. Sollte er abgelehnt werden, will Garcia nach Straßburg vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen.

Die Besetzung des Gerichts hingegen stimmt Garcia zufrieden: "Wir haben mit dem Richter Glück gehabt." Der Vorsitzende Gomez Bermudez gilt als ebenso brillanter wie humorvoller Kopf mit ,,Charakter und Persönlichkeit'', der sich nicht von der aufgepeitschten Atmosphäre beeinflussen lassen werde, wie Garcia meint. Die Livebilder des Mammutverfahrens, für das bis Ende Juli 110 Sitzungen an 53 Tagen angesetzt sind, werden dem Fernsehen zur Verfügung gestellt, auch im Internet wird es gezeigt (www.datadiar.com). "Wir haben nichts zu verbergen", heißt es am Gericht.

© SZ vom 15. Februar 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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