Annäherung an einen Attentäter:"Warum hat Mohammed das gemacht?"

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Volker Hauth nennt ihn noch heute Mohammed, denn sie waren einst Kollegen. Enge Kollegen. Er und Mohammed Atta, der Anführer der Attentäter vom 11. September 2001.

Andreas Unger

Er nennt ihn noch immer Mohammed, nicht Atta oder Atta El Amir, wie sein voller Name lautet. Denn sie standen sich einmal nahe, Mitte der Neunziger Jahre, als sie sich in Hamburg in einem Seminar kennen lernten. Mohammed Atta, der kleine, stille, stolze Ägypter, der so ungewöhnlich gut deutsch sprach, und Volker Hauth, der blonde, hochgeschossene, beredte Student mit der Goldrandbrille.

Atta beim Check-In in Portland am Morgen des 11. September. (Foto: Foto: AP)

War Atta ein Bekannter? Mehr als das. Ein Kumpel? Dafür war Atta nicht der Typ. Ein Freund? "Eins will ich ganz klar sagen: Er war nicht mein Freund. Auch wenn er das umgekehrt vielleicht anders gedeutet haben mag. Es war ein sehr enges kollegiales Verhältnis." Man muss sich wohl einfach an ihre Geschichte halten, um ihr Verhältnis richtig zu verstehen:

Sie treffen sich 1993 an der Technischen Universität Hamburg-Harburg, Aufbaustudium Stadtplanung, Seminar "Planen und Bauen in Entwicklungsländern". Hauth, der schon in Ägypten und Palästina gewesen ist, interessiert sich für den arabischen Raum und seine Menschen. In Atta sucht und findet er jemanden, mit dem er sich "auf Augenhöhe" austauschen kann. "Zuerst war er distanziert, fast schon norddeutsch", erinnert sich Hauth. Ganz habe er das nie abgelegt.

Doch Hauth mag das, er pflegt selber eine distanzierte Offenheit. Eine kühle Form der Sympathie muss die beiden verbunden haben, dazu das gemeinsame Interesse für Stadtplanung, den Islam und den arabischen Raum. Die beiden teilen ihre globalisierungskritische Haltung und ihre Solidarität zum palästinensischen Volk. "Über die USA hat er genau so geschimpft wie ich."

Sie treffen sich ein, zwei Mal die Woche, oft abends in Attas karger Studentenbude. Sie diskutieren viel. Zwischendurch zieht sich Atta für ein paar Minuten zurück, um seinen Teppich auszurollen und sein Gebet gen Mekka zu sprechen. Immer mal wieder gibt es Verständigungsprobleme zwischen ihnen: Wenn Atta ihm Essen anbietet, Hauth aber keinen Hunger hat, ist Atta beleidigt.

Die Debatten sind aufschlussreich für beide: hier der in der protestantischen Kirche engagierte Hauth, der die Bibel gern historisch-metaphorisch versteht, dort Atta, dem der Koran undeutbares Wort Gottes ist. "Warum wandert die Fastenzeit durch die Jahreszeiten? Wäre es nicht sinnvoll, sie immer im Sommer zu haben?", fragt Hauth. "Weil es so geschrieben steht", antwortet Atta. "Was bedeuten die Gesänge?" fragt Hauth. "Der Koran wird nicht gesungen, sondern rezitiert!", antwortet Atta.

Trotzdem oder vielleicht deswegen, sie kommen sich näher. Schließlich schlägt Atta vor, zusammen ins syrische Aleppo zu reisen, um die Altstadt zu studieren. Drei Wochen lang leben sie unter einem Dach.

Später entwickeln beide einen Vorschlag für ein dreimonatiges Studienprojekt in Kairo: "Stadt- und Verkehrsplanung in Ägypten". Eine Entwicklungsorganisation gibt ihnen ein Stipendium, ein zweiter deutscher Student stößt dazu.

Mohammed Atta (Foto: Foto: AP)

"Nicht konfliktfrei" seien die beiden Reisen gewesen. Will Hauth für sich alleine in die Stadt gehen, empfindet Atta das als persönliche Zurückweisung. Wenn sie auf Ämtern vorstellig werden, sehen die Ägypter, Attas Landsleute, automatisch in Hauth den Tonangebenden. "Sie sprachen mich mit 'Dottore' an, von Mohammed dachten sie, er sei mein Führer."

Dabei findet sich Atta in der ägyptischen Bürokratie viel besser zurecht. Um die Kairoer Altstadt zu analysieren, müssen sie die Stadtpläne einsehen. "Wenn uns jemand sagte, das geht nicht, fand Mohammed immer neue Wege. Er ging die Hierarchie hoch oder umging sie irgendwie. Er suchte Kompromisse, war ein gewiefter Taktiker und guter Kommunikator. Dabei gönnte er sich nie den Luxus des Affekts."

Auch nicht bei dieser jungen Frau, der sie in Aleppo begegnen. "Sie war keine Disco-Queen, sondern eine richtige junge Dame mit sprühendem Wesen. Sie nannte ihn immer Pharao." Vielleicht, weil er so streng schaute. "Ich fragte ihn, wie er sie finde. Ihr Selbstbewusstsein hat ihm aber nicht gepasst." Mehr Worte verliert Atta darüber nicht, ebenso wenig wie Hauth jetzt.

Frauengeschichten seien ebenso tabu gewesen wie Alkohol, kein Fernseher habe in Attas Studentenbude gestanden, auch Musik stand Atta skeptisch gegenüber.

Stärker noch als der Westen habe Atta die dekadente Führungselite in seiner arabischen Heimat abgestoßen. "Er fühlte sich als Religiöser diskriminiert. Und er kritisierte fehlende Meinungsfreiheit. Das schätzte er übrigens am Westen!"

Hauth schweigt ein wenig, überlegt, wie er den nächsten Gedanken formulieren könnte. "Wissen Sie, Atta und ich sind Architekten. Bauen ist immer übergriffig. Bauen ist Herrschergeschäft. Es hat mit Hierarchien zu tun, mit Ökonomie und Politik." Ein erfolgreicher Architekt muss sich mit der herrschenden Klasse identifizieren oder sich wenigstens gut mit ihr stellen - Atta wollte das nicht.

Zurück in Deutschland, schrieben sie noch ihren Projektbericht. Nach und nach sahen sie sich immer seltener, Hauth war in einen anderen Stadtteil gezogen, "das hat sich so entwickelt, '96 oder '97 sahen wir uns zum letzten Mal". Auch deshalb hat Hauth Schwierigkeiten, den Mohammed von damals mit dem Atta des 11. September in Verbindung zu bringen.

"Irgendwann macht es wumm"

Als Religiöser empfand der sich in der Heimat als Fremdling, im Westen erst recht. "Trotzdem, Mohammed hatte ja Perspektiven, er wollte als Stadtplaner in Ägypten arbeiten. In einer internationalen Organisation. Entwicklungszusammenarbeit wollte er machen!"

Hauth erkannte Attas Destruktivität nicht, nicht mal im Rückblick findet er frühe Zeichen dafür. Gerechtigkeit war ein wichtiges Motiv in ihren Gesprächen, Gewalt nicht. "Mohammed gönnte sich selber keine Auswege. Er muss so unter Druck gestanden haben, und wenn man nicht irgendwann den Deckel hebt, macht es irgendwann wumm."

Wie Hauth so überlegt, dazu fällt einem das Wort mäandernd ein, er wägt ab, fragt sich, hadert und stoppt. Denn da ist immer dieser Rest, den er nicht wegerklären und nicht auflösen kann. Dieser Rest, der zu groß ist, um ihn zu ignorieren und zu klein, um ihn zu fassen, diese Frage, die so einfach daher kommt und so schwer zu beantworten ist: "Warum hat Mohammed das gemacht?"

Wenn Hauth darüber spricht, fallen seine Sätze ins Passiv, "Mohammed" wird zu "diesem Menschen": "In diesem Menschen hat es eine völlige Verdrehung gegeben, es wurde eine völlige Abstrahierung vom Leben vollzogen."

Hauth schaut in die Ferne und überlegt. "Ich würd ihm erst mal eine scheuern", sagt er irgendwann, spontaner als sonst, und zugleich so überlegt, als hätte er es sich schon oft gefragt: Was wäre, wenn er Mohammed auf der Straße treffen würde, fünf Jahre nach dem 11. September? Die Antwort klingt, als hätte er noch eine offene Rechnung mit ihm, Wut steckt darin und Hilflosigkeit: eine Ohrfeige für 3000 Tote.

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