Angela Merkel:Die Lust an der Langeweile

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Machtworte waren ein Markenzeichen ihres Vorgängers. Kanzlerin Angela Merkel ist dabei ihren eigenen Stil erfolgreich zu prägen: Sie hält sich demonstrativ zurück - über Erfolg lässt sie andere reden.

Von Jens Schneider

Die Kanzlerin schaut pikiert. Sie zieht die Augenbrauen zusammen und die Nase ein wenig hoch, als ob das Wort übel riecht. Auf jeden Fall hat es, so viel sagt ihr höchst irritierter Blick, nichts mit ihr zu tun. Es kann gar nichts mit ihr zu tun haben. "Wer hat das angekündigt?", unterbricht sie den Journalisten in der hinteren Reihe, und es ist ganz klar, dass er sich nur irren kann.

"Mal wird man gelobt, mal wird man kritisiert", sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel (Foto: Foto: AP)

Der Mann hat, wenn man bedenkt, dass es sich hier um eine Regierungschefin handelt, eigentlich etwas ganz Harmloses getan. Er hat mitten in ihrer großen Bilanzpressekonferenz vor der Sommerpause behauptet, dass ein Sprecher von Angela Merkel ein Machtwort der Kanzlerin angekündigt habe. Es geht um nichts Dramatisches, ein Detail aus der Sicherheitspolitik, er will nun wissen, wann damit zu rechnen ist.

Doch der Ausdruck Machtwort und die Kanzlerin wollen einfach nicht zueinanderpassen. So eine Ankündigung kenne sie nicht. Also, ihr Vorgänger, ruft der Reporter ihr zu, der habe damit häufiger operiert. Alle lachen, denn für Gerhard Schröder waren Machtwörter ein Markenzeichen. Auch die Kanzlerin lacht, sehr heiter und gelassen gibt sie zurück: "Gut, aber heut' sitze ich hier!"

Dieser Moment ist eine Schlüsselszene nicht nur für die etwa 90 Minuten, in denen die Bundeskanzlerin den Reportern in der Bundespressekonferenz unter der schlichten Überschrift "Bilanz und Ausblick" auf ihre Fragen antwortet. In dieser kurzen Episode scheint komprimiert alles zu stecken, was für die ersten zwei Amtsjahre dieser Kanzlerin typisch war.

Da ist die bewusste Distanz zu jeder Kraftprotzerei, die demonstrative Zurückhaltung zu spüren, aber zugleich auch die immer größer gewordene Sicherheit, einen eigenen Stil erfolgreich zu prägen.

Prinzip Langeweile

Überhaupt könnte man sagen, dass dieser Auftritt Merkels einem für Zwischentöne sensiblen Fremden reichen könnte, um zu erfassen, wie sie dieses Land bisher regiert hat. Gerade weil sie nur so selten die Maske ablegt, hinter der sie sich übervorsichtig verbirgt.

Ihr Vorgänger hätte gewiss die internationalen Erfolge, die sinkenden Arbeitslosenzahlen und die außerordentliche Konjunktur für eine große Gerd-Show genutzt. Merkel dagegen stellt ganz bewusst das Prinzip Langeweile an den Anfang. Sie trägt in dröger Bescheidenheit vor, als ob sie - und das ist natürlich nicht so - über die Wirkung ihres Auftritts nicht nachgedacht hätte.

Statt ihre Erfolge aufzuzählen, bemüht die Kanzlerin tatsächlich noch einmal jenes sperrige Motto, das sie der Großen Koalition zum Start gegeben hat. Schon damals hat es keinen richtig befeuert. Merkel spricht vom "Dreiklang von Sanieren, Reformieren und Investieren". Sie nennt es, wenig einprägsam, das "Gesamtstrukturmotto", dem die Regierung auch künftig folgen will - wenn es um Investitionen in die Forschung oder das Ende der Neuverschuldung geht.

Die Kanzlerin hat für ihren Vortrag keine prägnante Kernbotschaft. Es gibt keine geplanten Pointen, weshalb aber immerhin ihre kleinen ironischen Spitzen, die zwischendrin spontan entstehen und sehr trocken daherkommen, umso mehr Heiterkeit auslösen. Es sind kleine Ausreißer inmitten der absichtsvollen Unaufgeregtheit Merkels, die oft wirkt, als ob es ihr Ziel wäre, möglichst wenig Schlagzeilen zu produzieren.

Da kommt, als alle sich mit ihren Fragen den großen Themen widmen wollen, einer daher und spricht eine Randgeschichte an, den Streit um die Dresdner Waldschlößchenbrücke. Die ungeduldigen Journalisten murren, je länger die Frage dauert. Die Kanzlerin lächelt und löst mit ihrem großen Gespür für Situationen ein befreites Lachen im Saal aus, als sie sich mit den Worten für die Frage bedankt: "Es haben nicht alle mit der Frage gerechnet, aber ich schon."

Schäuble und Gabriel dürfen nachdenken

Und natürlich stimmt es bei ihr nie, dass sie ihre Vorstöße nicht vorausplant. Sie weiß nur zu warten, bis sie gefragt wird. Und dann kommen wie beiläufig Klarstellungen, die das politische Berlin einige Tage beschäftigen können. So hat sie sich für die Frage nach den ständig neuen Forderungen ihres Innenministers Wolfgang Schäuble erkennbar einen Satz zurechtgelegt, mit dem sie sich ganz allgemein an seine Seite stellt.

"Ich möchte Minister, die keine Denkverbote haben", sagt sie und weist zugleich darauf hin, dass Schäuble Missverständnisse zuletzt selbst ausgeräumt habe. Sie sagt so kein Machtwort, aber zeigt doch, wer die Macht hat.

Auch auf die Frage nach der Atomkraft scheint sie nur gewartet zu haben. Wenn eine vorher geplante Aussage ihr wichtig ist, neigt die Kanzlerin dazu, sie sicherheitshalber gleich zwei oder gar drei Mal zu sagen. Könnte ja sein, jemand hat's nicht gemerkt. Für die Atomkraft ist ihre Botschaft nach den jüngsten Zwischenfällen in Krümmel und Brunsbüttel, dass von Vattenfall dramatische Fehler in der Informationspolitik gemacht wurden.

"Deshalb hält sich mein Mitleid in Grenzen, wenn die Wirtschaft kritisiert wird", sagt sie wiederholt. Diese Deutlichkeit wählt sie offenbar auch, weil sie weiter an der Atomkraft festhalten will. Auch für den Umweltminister gilt natürlich, was schon für den Kollegen Schäuble galt. Er darf nachdenken. Aber es wirkt, als ob Spott mitklingt, als Merkel zu dessen jüngsten Vorschlägen großzügig sagt, dass "Herr Gabriel wie jeder andere Minister mal 'nen Vorschlag machen darf, über den er nicht mit mir gesprochen hat."

Überhaupt, das Kabinett. So richtig harmonisch geht es da zu. Und als Merkel gefragt wird, warum es denn noch keine Rücktritte gegeben hat und worauf dies zurückzuführen sei, leistet sie sich einen Moment der lieblichen Koketterie: "Auf meine liebevolle Art natürlich." Tatsächlich will sie die großen Konflikte der letzten Wochen einfach für erledigt erklären.

"Das war so, und das bleibt so."

Als wäre da nichts gewesen, als Vize-Kanzler Franz Müntefering sich voller Zorn zeigte, weil es mit der Union beim Mindestlohn keine richtige Einigung gab. Ihr Verhältnis zum Vizekanzler sei eine der großen Stützen der Koalition, sagt sie trocken. "Das war so, und das bleibt so."

Ihre Zurückhaltung in persönlichen Fragen hat auch damit zu tun, dass Merkel ungern öffentlich von sich selbst redet - vor allem nicht über ihre Erfolge. Sie will immer noch sehr misstrauisch bleiben gegen jede Jubelei. Als die Reporter von einem internationalen Heldenstatus sprechen, den sie erworben habe, braucht die Bundeskanzlerin einen Moment, bis sie überhaupt antwortet.

"Beurteilungen sind ja immer sehr wetterwendisch", sagt Angela Merkel dann leise. "Mal wird man gelobt, mal wird man kritisiert." Es wirkt gleichgültig, unberührt. Aber wer weiß, wie aufmerksam sie jede Wertung, jedes Adjektiv in einem Nebensatz über sich wahrnimmt, wird das vor allem als große Vorsicht auffassen.

Komplizierte Antworten

Bei Angela Merkel landen viele Journalisten auch an diesem Tag bei der einen Frage, die vom Wunsch geprägt ist, einen Kokon zu durchdringen. Er wisse eigentlich nicht, formuliert es ein Reporter direkt, "welche Position Sie selbst haben?" Er bekommt wie die meisten eine komplizierte Antwort.

Und wenn es heikel wird, dann gibt es sogar nur noch korrekte, nichtssagenden Formelsätze, die doch vielsagend erscheinen. Dass Bundespräsident Horst Köhler sich zuletzt oft zur aktuellen Politik äußerte, hat vielen in der Union nicht gefallen. Die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende klingt auf diese Frage kühl wie sonst nicht an diesem Tag.

Der Respekt vor dem Amt gebiete, dass sie den Bundespräsidenten nicht bewerte, sagt sie. "Respekt", wie sie das ausspricht - es klingt, als wäre Horst Köhler der Staatsmann eines fremden fernen Landes, mit dem man keine besonders freundschaftlichen Beziehungen unterhält. Da meint man förmlich mitzuhören, was sie alles nicht sagt - und weiß nicht, ob das auch noch Absicht war.

© SZ vom 19.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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