Anfänger im Bundestag (2)::Strebe lieber ungewöhnlich

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Katja Kipping von der Linkspartei war im Beruf immer eine der Jüngsten.

Sven Böll

"Kapitalistischer Komparativ" - so nennt Katja Kipping das Prinzip, immer mehr und immer höher hinauf zu wollen. Als demokratische Sozialistin steht die neue Abgeordnete der Linkspartei diesem Streben kritisch gegenüber.

Katja Kipping (Foto: Foto: DDP)

Dabei scheint ihre eigene Karriere nach dem Muster des kapitalistischen Komparativs gestrickt: 1999 saß sie mit 21 Jahren im Dresdner Stadtrat. Im gleichen Jahr zog sie als jüngste Abgeordnete in den sächsischen Landtag ein. Mit 25 wurde sie stellvertretende Parteivorsitzende der PDS - bei den anderen Parteien sind alle Vorstandsmitglieder über 40 Jahre alt. Und mit 27 sitzt sie nun im Bundestag. Unter der Reichstagskuppel sind nur fünf ihrer 613 Kollegen jünger.

"Meine Karriere war so nicht geplant", sagt Kipping. "Ich habe mich nie aufgedrängt." Einige ihrer männlichen Förderer hätten sich jedoch ihn ihr getäuscht: "Die dachten, ich bin eine nette und harmlose Frau." Nett und harmlos - für Kipping sind das beinahe Schimpfwörter.

1000 Euro im Monat für jeden

Attribute wie "jung" und "aufmüpfig" findet sie da schon passender. Aufmüpfig hat sie auch reagiert, als die Gysis und Lafontaines in ihrer neuen Fraktion die wichtigsten Posten unter Männern verteilt haben. "Frauen müssen immer doppelt aufpassen, dass sie nicht untergebuttert werden", sagt sie. Ihr Rezept dagegen: Erfolge vorweisen.

Das will die Dresdnerin, die bisher auf Verkehrs- und Energiepolitik spezialisiert war, künftig vorrangig in der Sozialpolitik. Deshalb ist sie seit vergangenem Jahr Sprecherin des "Netzwerks Grundeinkommen". Darin haben sich verschiedene Gruppierungen und Einzelpersonen - vom Bund der Katholischen Jugend bis zum Verdi-Erwerbslosenausschuss - zusammengeschlossen, die ein existenzsicherndes Basiseinkommen für alle Bürger fordern.

Jeder soll 1000 Euro pro Monat bekommen - unabhängig davon, ob er gerade arbeitet oder nicht. Mit ihrem Engagement als Sprecherin des Netzwerks setzt sie ihr Verständnis von Politik um: "Die Ressourcen eines Politikers nutzen, um andere in ihrem politischen Engagement zu unterstützen."

Der Dialekt muss weg

Kipping möchte sich für ihre neue Aufgabe "stärker ökonomisch alphabetisieren", das heißt, sie will das ABC der grundlegenden volkswirtschaftlichen Zusammenhänge lernen. "Denn das muss heute jeder richtig drauf haben", sagt sie. Juristisch wisse sie ganz gut Bescheid.

Die Jungpolitikerin hat 2003 ihr Studium der Slawistik, Amerikanistik und Rechtswissenschaften mit einer Magisterarbeit über vorrevolutionäre russische Literatur abgeschlossen. "Russland ist meine Leidenschaft", sagt sie. Vor Beginn ihrer Politikkarriere hat sie dort ein Freiwilliges Soziales Jahr verbracht.

In Berlin wird sie vermutlich länger als ein Jahr bleiben. Nach dem Wechsel von der Landes- in die Bundeshauptstadt soll sich ihr Leben so wenig wie möglich ändern. "Zum eigenen Wohlbefinden", wie sie es nennt, wird sie ihr Zimmer in der Dresdner Wohngemeinschaft behalten und auch künftig von der Berliner Wohnung mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren. Einen Teil ihrer Herkunft möchte sie allerdings gerne hinter sich lassen: "Der Dialekt sollte raus", sagt Kipping. Doch das werde schwierig.

Karriere nicht nach Berechnung

Weniger schwierig dürfte die Umsetzung ihrer Freizeitpläne werden. Mindestens einmal pro Woche möchte sie zum Jazz-Dance gehen. "Die Kunst besteht darin, nicht dem Diktat des Terminkalenders zu erliegen." Ein Leben abseits des Politikbetriebs - für die Ostdeutsche, die betont, auch westdeutsche Freunde zu haben, ist das absolut notwendig: "Politik wird frustrierend, wenn man nichts anderes kennt."

Über Posten in der Regierung macht sich Katja Kipping keine Gedanken - schließlich ist sie Mitglied einer bekennenden Oppositionsfraktion. Und wie sieht es mit einem Ministeramt auf Landesebene aus? "Das steht derzeit überhaupt nicht zur Diskussion", sagt sie. Derzeit nicht. Bei einem solchen Karrieresprung würde wohl bald die Vermutung laut, sie stricke an ihrer Karriere - nach dem Muster des kapitalistischen Komparativs.

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