Andreas Speit zu den freien Kameradschaften:"Die NPD ist ihnen zu moderat"

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Der Einfluss der militanten Szene in der NPD nimmt zu. Ein Gespräch von sueddeutsche.de mit dem Autor Andreas Speit über den Doppelcharakter der Rechtsextremen.

Kathrin Haimerl

Andreas Speit ist Sozialwirt und arbeitet als Journalist zum Thema Rechtsextremismus. Gemeinsam mit Andrea Röpke hat er 2008 das Buch "Neonazis in Nadelstreifen" herausgegeben. In ihrem Buch "Braune Kameradschaften. Die militanten Neonazis im Schatten der NPD" aus dem Jahr 2004 zeigen die beiden die Strukturen militanter Neonazis jenseits der Parteigrenzen auf.

"Neu ist, dass dies so offen und aggressiv im Rahmen einer NPD-Veranstaltung geschah", sagt Andreas Speit zu den Krawallen in Hamburg am 1. Mai. (Foto: Foto: AP)

sueddeutsche.de: Entsprechen die Mitglieder der freien Kameradschaften denn noch dem gängigen Stereotyp des Neonazi?

Andreas Speit: Glatze, Bomberjacke und Springerstiefel sind in diesen Kreisen nicht mehr schick. Überspitzt gesagt, sehen sie so aus wie du und ich. Sie legen nicht mehr so viel Wert da drauf, sich durch Szene-Accessoires gleich erkenntlich zu zeigen. Besonders die NPD will bürgernah erscheinen.

sueddeutsche.de: Wie sind diese losen Organisationen entstanden?

Speit: Gegründet wurden sie Mitte der 90er Jahre nach einer Verbotswelle rechtsextremer Vereinigungen. Genau jene Kader, die uns heute noch bewegen, wie Christian Worch, Thomas Wulff und Thorsten Heise, überlegten sich, wie sie darauf reagieren sollten. Sie haben sich linke Organisationsformen angeschaut. So sind sie auf die ganz einfache Idee gekommen, eine Organisation ohne Organisation zu gründen.

sueddeutsche.de: Sind die Kameradschaften tatsächlich führerlos, wie es in der Szene immer behauptet wird?

Speit: Nein, nur rein formal haben sie nach Außen hin keinen Vorsitzenden, keine Mitgliedsliste und vor allem keine Statuten, also nichts, womit man juristisch gegen sie vorgehen könnte als Form einer zuvor verbotenen Gruppe. Allerdings klappt das nicht überall. Wenn Kameradschaften zu auffällig werden, wie auch in Bayern, Brandenburg oder in Hamburg geschehen, werden sie abermals verboten. Die Netzwerke aber bleiben bestehen, die Neonazis agieren dann eben nicht mehr unter ihrem alten Logo.

sueddeutsche.de: In welchem Verhältnis stehen sie zur NPD?

Speit: Zur Zeit bestehen zwei Richtungen innerhalb der Kameradschaften. Die eine, unter anderem angeführt von Thomas Wulff und Thorsten Heise, bemüht sich seit 2004, sehr eng mit der NPD zusammenzuarbeiten. Sie haben gemerkt, dass der Kampf um die Straße nicht reicht. Im Landtagswahlkampf in Sachsen 2004 haben sich die NPD und die freien Kameradschaften angenähert. Seitdem gibt es keine Landtags- oder Kommunalwahl, wo die NPD nicht ganz eng mit den Kadern der freien Kameradschaften den Wahlkampf ausrichtet. Die zweite Richtung in dem Spektrum, wie den sogenannten autonomen Nationalisten, sucht Distanz zu der Partei. Ihnen ist die NPD zu parlamentarisch und legalistisch ausgerichtet. Sie verfolgen offen einen nationalen Sozialismus. Die NPD ist ihnen viel zu moderat im Programm.

sueddeutsche.de: 2006 hat die NPD in Ostvorpommern bei der Landtagswahl ein Wahlergebnis in Rekordhöhe eingefahren. 30 Prozent stimmten für die Partei. Allein wegen der Arbeit der Kameradschaften?

Speit: Oft sind die freien Kameradschaften in den Bundesländern wesentlich besser aufgestellt als die Partei selbst. Insbesondere in den Kommunen und Stadtteilen. Vor Ort sind sie es, die mit jungen Menschen an der Bushaltestelle abhängen, einen Sixpack mitbrigen, ein bisschen Rechtsrock, und so Vertrauen gewinnen. Wenn die dann später mal sagten, den von der NPD, den kenne ich, der ist ganz in Ordnung, kann das auch in Wählergunst umschlagen.

sueddeutsche.de: Wie zeigt sich die Zusammenarbeit mit der Partei noch?

Speit: Man kann NPD-Mitglied sein und gleichzeitig führender Kader der Kameradschaften. Viele Verfassungsschutzbehörden räumen ein, dass die Grenzen in einigen Bundesländern fließend sind. Die Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern besteht aus Teilen der freien Kameradschaften. In Hamburg sind freie Kameradschaftler im Landesvorstand aktiv, in Bayern ebenso. Dort, wo das Miteinander läuft, hat die NPD im Verhältnis gesehen an Kraft gewonnen, ist aktiver, dynamischer.

Lesen Sie auf Seite 2 über die Rolle der Frauen in der Szene

sueddeutsche.de: Welche Rollen spielen Frauen in der NPD und den freien Kameradschaften?

Speit: Die Partei ist natürlich immer noch von Männern dominiert, das hat ja auch etwas mit dem Weltbild zu tun. Aber es ist in den vergangenen Jahren ein Trend zu beobachten, dass sich rechte Frauen offen auch bei den freien Kameradschaften in der politischen Auseinandersetzung zeigen. Es waren schon immer Frauen in der rechten Szene aktiv, meistens im Hintergrund. Derzeit arbeiten die Kameradschaften sehr daran, junge Frauen weiter in die Politik zu integrieren.

sueddeutsche.de: Wie machen sie das?

Speit: Es gibt zum einen Mädchengruppen, die autonom und selbständig arbeiten. Sie bieten Schulungen an, übernehmen Verantwortung bei Neonazi-Aufmärschen oder kümmern sich um den Sanitätsdienst bei Aufmärschen. Wir befürchten, dass die Partei und die freien Kameradschaften gemerkt haben, dass Frauen - vorsichtig ausgedrückt - so etwas wie Akzeptanzgewinner sind.

sueddeutsche.de: Inwiefern?

Speit: Sie sind im Alltag des örtlichen Lebens meist besser verankert. Gerade durch das alltägliche Miteinander über die Kinder scheinen Frauen bestmögliche Türöffner zu sein. Besonders, wenn sie Mütter sind, kommen sie über die Kinder ins Gespräch über die alltäglichen Familiensorgen. So tragen sie im ländlichen Raum oft die Unterschriften für die NPD-Kandidatur des Mannes zusammen. Dort kennt man sich dann vielleicht auch aus dem Vereinsleben, die ist ja so nett, so engagiert. Dass sie im Hintergrund auch Schulungen betreibt, spielt da keine Rolle. Parteichef Udo Voigt sagt selbst, auf kommunaler Ebene kann die politische Ausgrenzung unterlaufen werden.

sueddeutsche.de: Die NPD fährt ja schon länger die Strategie eines bürgerlichen Image einerseits und der Radikalisierung durch die Öffnung hin zu den freien Kameradschaften andererseits. Die Krawalle am 1. Mai in Hamburg zeigen aber eine andere Dimension. Wie schätzen Sie dies ein?

Speit: Die Partei hatte schon immer diesen Doppelcharakter. Udo Voigt spricht von einer Wahl- und Gesinnungspartei. Sie hatte auch schon immer ein ambivalentes Verhältnis zur Gewalt. Das ist nichts Neues. Ich hatte einmal den NPD-Multifunktionär Andreas Molau auf die verurteilten Straftäter in den Reihen der NPD angesprochen. Der argumentierte dann höflich, dass diese bei der Partei resozialisiert würden. Irgendwann kommt dann immer der Hinweis auf Joschka Fischer. Bei dem Spektrum der autonomen Nationalisten, die in Hamburg auftraten, ist neu, dass dies so offen und aggressiv im Rahmen einer NPD-Veranstaltung geschah. Zurecht kann man hier sagen, von einem NPD-Aufmarsch ging massive Gewalt gegen Gegendemonstranten, Journalisten und Polizeibeamte aus.

sueddeutsche.de: Die Kameradschaften zeigen sich also immer selbstbewusster?

Speit: Man kann sagen, ihr Einfluss in der Partei ist über die Jahre gewachsen.

sueddeutsche.de: Wie wird sich das weiterentwickeln?

Speit: Der Parteitag ist in dieser Frage tatsächlich entscheidend, inwieweit die NPD diesen Spagat weiter schafft, sich einerseits bürgerlich zu geben, gleichzeitig aber auch dieses militante Milieu weiter an sich zu binden. Wenn sie sich von den autonomen Nationalisten distanziert, bedeutet das ja nicht, dass die Partei nicht weiterhin mit den Kameradschaften zusammen arbeitet. Denn auch aus der Kameradschaftsszene gibt es Kritik an der Strategie der Autonomen Nationalisten.

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