Analyse:Große Koalition des Macht-Wechsels

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Ampel hin, Schwarz-Gelb-Grün her. Wirklich machbar und erprobt ist nur die große Koalition. Die kommt vermutlich nur mit frischen Gesichtern auf beiden Seiten. Ein Halbzeit-Wechsel könnte die Lösung für den Streit ums Kanzleramt sein.

Bernd Oswald

Deutschland erlebt in den ersten Tagen nach dem Patt einen beispiellosen Poker ums Kanzleramt. Nichts ist mehr gewiss, vieles, was lange Zeit als undenkbar galt, ist mit einem Mal mitten in der Diskussion. Eine Ampel, eine Koalition aus Union, FDP und Grünen, gar eine Minderheitsregierung.

Große Koalition der Fahnen (Foto: Foto: dpa)

Rot-Grün-Gelb ist zweimal (in Bremen und Brandenburg) schnell gescheitert, Schwarz-Gelb-Grün gab es noch nie und die Bundesregierung ist kein Ort für Koalitionsexperimente. Im Prinzip wissen alle Beteiligten, dass diese Vorschläge realitätsfern sind und auf Dauer keinesfalls die stabile Mehrheit darstellen, die sich Bürger, Regierung und auch das Ausland wünschen. Sie dienen SPD und Union nur dazu, den jeweiligen Gegner unter Druck zu setzen.

Am stabilsten und programmatisch am leichtesten zu vereinbaren wäre mit Sicherheit eine große Koalition. Die Elefantenhochzeit von SPD und Union ist auch in der Praxis erprobt. Zurzeit arbeiten in Bremen, Brandenburg, Sachsen und Schleswig-Holstein vier große Koalitionen relativ reibungslos.

Weder Schröder noch Merkel?

Die Crux ist nur, dass die beiden Volksparteien wider Erwarten ganz eng beieinander liegen und keiner bereit ist, auf das Kanzleramt zu verzichten. Gerhard Schröder hat ein gerüttelt Maß an Chuzpe bewiesen, als er mit seinem Anspruch, Kanzler bleiben zu wollen, die erste Lähmung nach der Wahl durchbrach. So hat er Kanzlerkandidatin Merkel, die aufgrund des dramatisch schlechten Ergebnisses für die Union ohnehin angeschlagen ist, noch weiter unter Druck gesetzt.

Hier findet ein knallharter Poker statt. Im Endeffekt wird sich derjenige durchsetzen, der die besseren Nerven hat. Klar ist nur: Merkel wird nicht unter einem Kanzler Schröder dienen und umgekehrt. Das ist im einen wie im anderen Fall absolut verständlich: Keiner, der die erste Geige gespielt hat, will sich auf einmal mit der zweiten zufrieden geben, schon gar nicht, wenn der Dirigent von der Konkurrenz kommt.

Schröders Ausfallschritt mag von der Motivation getragen sein, zumindest Angela Merkel zu verhindern, wenn er denn schon selbst nicht Kanzler bleiben kann. Das allein wäre schon mehr, als er vor der Wahl erwarten konnte.

Vorbild EZB

Je länger sich der Streit um die Regierungsbildung, speziell die in einer großen Koalition hinzieht, desto mehr werden Schröder und Merkel beschädigt. Dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es zwei neue Kandidaten gibt. Die müssen gar nicht aus der Bundespolitik kommen. Eher böten sich hier amtierende oder ehemalige Ministerpräsidenten an. Zum Beispiel Roland Koch, Christian Wulff und Peter Müller für die CDU, Peer Steinbrück, Matthias Platzeck (der einer großen Koalition vorsteht) und Kurt Beck für die SPD, letzterer wohl erst nach der Rheinland-Pfalz-Wahl im März 2006.

Schon bei der Großen Koalition von 1966 wurde ein Ministerpräsident zum Kanzler gekürt: Kurt-Georg Kiesinger ging von Baden-Württemberg nach Bonn.

Da auch mit zwei unbeschädigten Gesichtern das Koch-und-Kellner-Dilemma bleibt, böte sich noch die Halbzeit-Lösung an, die schon die Europäische Zentralbank aus einer Machtkrise befreite: Zuerst blieb Wim Duisenberg im Amt, räumte seinen Stuhl aber wie verabredet vorzeitig für Jean-Claude Trichet.

Auf die aktuelle Konstellation übertragen hieße das: Zwei Jahre ein SPD-Kanzler, zwei Jahre ein Unions-Kanzler. Dann müssten sich die beiden Elefanten nur noch einigen, wer zuerst die Kanzlerwürde erhält. Auch das wäre eine sensible Frage, denn der Kanzler der zweiten Halbzeit könnte mit dem Amtsbonus in die nächste Bundestagswahl gehen.

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