Amok-Angriffe:Wer die Bundeswehr ruft...

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Soldaten sind nicht dafür ausgebildet, den Job von Polizisten zu tun. Wer ihren Einsatz herbeireden will, redet zugleich ein Klima der Angst herbei.

Von Joachim Käppner

Die Operation dient der perfekten Tarnung und trägt wechselnde Codenamen. Sie heißen Optimierung, Synergieeffekte, Straffen von Strukturen, Zentralisierung, sogar Bürgernähe. Das alles wurde vor allem in den Bundesländern gern vorgebracht, um Kürzungen und Streichungen bei der Polizei zu rechtfertigen. Das Ergebnis waren dann geschlossene Wachen auf dem Land, nachts unbesetzte Reviere in der Stadt und Streifenbesatzungen, die von weit her anfahren müssen, wenn es in der Dorfdisco Randale gibt und jemand die 110 wählt. Das Sparen auf Kosten der Polizei, im Neusprech gern verkauft als Reform, hat in den vergangenen Jahren Tausende Stellen in Bund und Ländern gekostet.

Erst seit Kurzem, angesichts der terroristischen Bedrohung, gibt es eine gewisse Trendwende. Aber so nötig scheint die kostspielige Umkehr dann allerdings auch wieder nicht zu sein, denken sich etliche Landespolitiker, da gibt es ja noch die Bundeswehr. Der Ruf nach ihrem Einsatz im Inneren erschallt nach einer Woche des Schreckens in Deutschland lauter denn je.

Bei keinem der Anschläge dieser Tage ist freilich erkennbar, was die Armee eigentlich hätte ausrichten sollen, oder was sie tun kann, das die Polizei nicht könnte. Mit Ausnahme der Feldjäger sind die Soldaten nicht oder zu wenig ausgebildet für polizeiliche Einsätze, deren Grundprinzip die Verhältnismäßigkeit der Mittel ist. Ganz abgesehen von dem Umstand, der aus Sicht der Befürworter offenbar eine Kleinigkeit darstellt: Das Grundgesetz untersagt solche Einsätze - außer im Fall des sogenannten inneren Notstands oder der Katastrophenhilfe.

Soldaten sind nicht ausgebildet, den Job von Polizisten zu machen

Als innerer Notstand gelten aber nur Szenarien, bei denen die Polizei alleine nicht mehr ausreichen würde. Diesen Zustand herbeizuführen, indem man sie kurz und klein spart, dürfte schwerlich im Sinne der Verfassung sein. Selbst die Frage, ob die Luftwaffe ein entführtes Flugzeug wie im 9/11-Fall abschießen darf, hat das Bundesverfassungsgericht 2006 verneint; eine weitere Entscheidung von 2012 ließ einen bewaffneten Einsatz im Inneren nur in "Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes" zu. Das Grundgesetz erlaubt es also eindeutig nicht, beliebige schlimme Szenarien, und sei es ein Amoklauf wie in München, einfach als Katastrophe oder inneren Notstand zu definieren, um die Streitkräfte einsetzen zu dürfen. Mit Recht sagt der Polizeigewerkschafter Oliver Malchow: "Wir befinden uns doch nicht im Krieg."

Es spricht wohl für sich, dass sich weder die Bundeswehr noch die Polizei den Militäreinsatz im Inneren wünschen. Vom Umstand abgesehen, dass in München wohl einige bewaffnete Zivilpolizisten für Terroristen gehalten wurden und die Panik noch vergrößerten, hat die Polizei hoch professionell gearbeitet. Wer ständig nach der Bundeswehr ruft, ignoriert diese Leistung. Er suggeriert den Leuten, die Polizei könne sie nicht mehr beschützen, obwohl das nicht stimmt. Man nennt das Populismus. Auch so entsteht das Klima der Angst.

© SZ vom 27.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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