Amerika und die Korruption:Das Chicago-Prinzip

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Mit dem Skandal in Illinois holen Obama die Realitäten seiner politischen Heimat ein. Zwei Fragen drängen sich nun auf. Was hat er damit zu tun? Und wie korrupt ist Amerika?

Reymer Klüver

Schneller, als es ihm lieb sein kann, haben Barack Obama die Realitäten seiner politischen Heimat eingeholt. Die Unverfrorenheit, mit der Illinois' Gouverneur politische Macht in persönliches Einkommen ummünzen wollte, macht weltweit Schlagzeilen - zumal er Geld ausgerechnet aus der Vergabe des Senatssitzes schlagen wollte, der mit Obamas Umzug ins Weiße Haus frei wird.

Obama hat versprochen, nicht mehr augenzwinkernd über Missstände hinwegzuschauen (Foto: Foto: Reuters)

Die Affäre wirft ein grelles Licht auf das politische Umfeld in Chicago, in dem sowohl einer vom Schlage des Gouverneurs Rod Blagojevich und eine Ausnahmegestalt wie der künftige Präsident groß werden konnten. Und der Skandal wird um so brisanter, weil Obama nicht nur wegen der Verheißung gewählt wurde, eine allgemeine Wende der amerikanischen Politik zu bewerkstelligen. Er hat vielmehr ganz konkret versprochen, Entscheidungen transparenter zu machen und von unsachgemäßen Einflüssen frei zu halten. Obama wurde als Saubermann gewählt.

Die Bestechlichkeit von Politikern in Chicago und im Bundesstaat Illinois (dessen Metropole Chicago ist) ist geradezu legendär. Sie hat zweifellos viel mit der ungebrochenen Machtstellung der Demokraten dort zu tun. Die Partei beherrscht die staatliche Bürokratie und vergibt Posten vom Hausmeister bis zum Gouverneur. Machine politics wird das in den USA genannt. Korruption, zumindest Geschäftemacherei gehört zum Chicago-Prinzip.

Was bekomme ich als Gegenleistung, wenn ich dir einen Vorteil verschaffe, lautet die Grundregel. Das wurde durch den Umstand erleichtert, dass es kaum Beschränkungen für Wahlspenden in Illinois gab. Das soll sich jetzt durch ein schärferes Spendengesetz ändern (für das Obama geworben hat). Bisher war Politik im Prinzip käuflich.

Zwei Fragen drängen sich nun auf. Was hat Obama damit zu tun? Schließlich war er Senator in Illinois. Schließlich hat er seine politische Basis in Chicago, was auch am Kreis seiner engsten Berater abzulesen ist, die mit ihm nach Washington gehen. Die andere Frage ist, ob das Prinzip der politischen Vorteilnahme in der US-Politik eigentlich gang und gäbe ist. Mit anderen Worten: Wie korrumpierbar, wie korrupt ist Amerika?

Obama hat stets Distanz gewahrt

Auch wenn jetzt überall in den US-Medien Mutmaßungen angestellt werden, was Obama von dem Geschacher um seinen Senatssitz gewusst haben könnte, eines kann man mit Sicherheit feststellen: Obama ist nicht verstrickt in das korrupte Do-ut-Des nach Chicago-Art. Dafür ist er zu klug. Zu Blagojevich hatte er ein kühles Verhältnis. Zwar hat er stets Zweckbündnisse geschlossen mit Politikern, an denen in Chicago und Illinois kein Demokrat vorbeikommt. Mit Bürgermeister Richard Daley etwa oder dem Präsidenten des Senats von Illinois, Emil Jones, einem Königsmacher in der Partei. Aber persönlich verbindet sie wenig.

Obama hat stets Distanz gewahrt zu Geschäftemachern. Nur einmal hat er sich eingelassen und einen günstigen Grundstücksdeal von einem der (inzwischen wegen Korruption verurteilten) Baulöwen Chicagos akzeptiert. Allerdings war das Geschäft am Ende doch so unspektakulär, dass es die Republikaner selbst im Wahlkampf nicht zu Munition machen konnten. Persönlich wird man Obama eine Verstrickung im Chicago-Stil nicht vorwerfen können.

Nun ist politische Korruption in den USA gewiss nicht auf Chicago beschränkt. In Arizona sitzt der ehemalige Kongressabgeordnete Duke Cunningham wegen Bestechlichkeit ein. In New York ist aufgeflogen, dass Charlie Rangel, eine Institution der Demokraten im Repräsentantenhaus, offenkundig politische Wohltaten gegen Spenden verteilte. Korruption gibt es also von Chicago bis nach Washington - und zurück.

Persönliche Fehlbarkeit ist das eine Problem. Von grundsätzlicher Art ist jedoch ein anderes in der amerikanischen Politik: der ungeheure Einfluss der Lobbyisten auf politische Entscheidungen. Ihre Arbeit ist nach dem Verständnis der Amerikaner von der Verfassung garantiert, die jedem Bürger das Recht einräumt, eine "Petition" an die Entscheidungsträger zu richten.

Versprochen, nicht mehr augenzwinkernd wegzuschauen

Nur machen die von ihren Auftraggebern hochbezahlten Lobbyisten das nicht, indem sie ein Zehn-Punkte-Thesenpapier mit Fußnoten abliefern und der Dinge harren. Sie suchen das persönliche Gespräch mit den Politikern und ihren Mitarbeitern. Und da fangen die Probleme an. Zwar sind inzwischen die Umgangsregeln in Washington (wenn auch noch nicht in Illinois) so streng, dass ein Lobbyist einen Politiker theoretisch nur noch zum Dinner bei McDonald's einladen dürfte. In der Praxis sieht das indes anders aus.

Obama hat versprochen, darüber nicht mehr augenzwinkernd hinwegzuschauen. Für die Berufungen in seine Regierung gelten tatsächlich deutlich schärfere Anforderungen als bisher. Lobbyisten sind nicht geduldet. Die Spendenmöglichkeiten für die Inaugurations-Feier hat er drastisch einschränken lassen. Das sind gute Anzeichen. Dafür verdient er Beifall. Der Skandal von Chicago zeigt, wie dringend nötig Obamas Versuche sind, neue Ernsthaftigkeit und Verantwortlichkeit in die Politik zu bringen. Aber wie auf so vielen anderen Feldern, muss der künftige Präsident auch hier erst beweisen, dass er seinen Worten wirklich Taten folgen lässt.

© SZ vom 12.12.2008/ihe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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