Amerika: Bush und die Neokonservativen:Falke ohne rechten Flügel?

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Wegen der vielen Abgänge aus der Bush-Regierung und des Irak-Desasters hören derzeit viele das Totenglöckchen der amerikanischen Neokonservativen läuten. Doch manchmal leben Totgesagte am längsten.

Barbara Vorsamer

Ein bekanntes Sprichwort lautet: "Die Ratten verlassen das sinkende Schiff." Man denkt unwillkürlich daran, wenn man sich vergegenwärtigt, wie viele Bush-Vertraute in den letzten Monaten das Handtuch warfen (oder werfen mussten).

Solange Cheney noch hinter Bush steht, ist ein Ende der Neokonservativen nicht zu erwarten: Vize-Präsident Dick Cheney und US-Präsident George W. Bush (Foto: Foto: AP)

Der Architekt der neokonservativen Doktrin von der präventiven Kriegsführung, Paul Wolfowitz, musste im Mai seinen Posten als Weltbankpräsident räumen. Aus dem Weißen Haus verabschiedeten sich in rascher Abfolge Präsidentensprecher Tony Snow und "Bushs Gehirn", Präsidentenberater Karl Rove im August dieses Jahres. Und schon im vergangenen Jahr waren Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und der US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, John Bolton, nicht mehr zu halten.

Totgesagte leben länger

Ein gefundenes Fressen für die Medien: Besonders für die europäische Presse. Sie schrieb schon begeistert den Niedergang der Neokonservativen herbei. "Eine Ideologie im Sinkflug" titelte etwa die Neue Zürcher Zeitung, der Spiegel sieht die Falken bereits von der Macht verdrängt, "Neocons im tiefen Fall" hieß es auch in der Süddeutschen Zeitung . Aber Totgesagte leben länger.

"Die Neokonservativen machen weiter Druck", konstatiert jetzt etwa Josef Braml, Amerika-Experte von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. An ein baldiges Ende der Neocons glaubt er jedenfalls nicht.

Denn einer steht ja immer noch unbeirrt auf seinem Posten: Vizepräsident Dick Cheney. Er ist so etwas wie der inoffizielle Pate der neokonservativen Bewegung, und er bleibt eine dominante und extrem einflussreiche Figur - daran änderte auch der Skandal um seinen Büroleiter Libby "Scooter" Lewis nichts, der Anfang Juni wegen zweifachen Meineids, Falschaussage und Behinderung der Justiz verurteilt wurde. Mit Bushs Hilfe blieb Lewis auf freiem Fuß. An Cheney prallte der Skandal ab.

Mit dem Vizepräsidenten als Verbündeten haben die neokonservativen Positionen immer noch viel Einfluss auf die Linie der Bush-Regierung. "Um es mit einer Schachmetapher zu beschreiben: Cheney ist die Dame. Und solange die Dame im Spiel ist, können einige Bauern, Läufer oder Springer fallen, ohne dass damit der König, also George W. Bush, manövrierunfähig würde", erklärt Experte Braml.

Richtungsweisend: Die Iranfrage

Insofern ist unwahrscheinlich, dass sich die Bush-Regierung von ihren neokonservativen Wurzeln entfernt, auch wenn sich viele ihrer exponiertesten Mitstreiter aus der Administration verabschiedet haben.

Ein Lackmustest wird hier die Iranfrage sein: Wer ist jetzt näher an Bushs Ohr - Condoleezza Rice oder Dick Cheney?

Derzeit schmieden Außenministerin Rice und Verteidigungsminister Robert Gates noch an einer Allianz für eine diplomatische Offensive.

Gleichzeitig heizen Präsident Bush und sein Vize Cheney die Debatte mit scharfer Rhetorik an. So warnte Bush kürzlich vor einem "Dritten Weltkrieg", Cheney drohte dem Iran mit "ernsthaften Konsequenzen", sollte das Land sein umstrittenes Atomprogramm fortsetzen.

Unterfüttert werden solche apokalyptischen Parolen aus der Führungsetage der Regierung von den Vordenkern aus den Think Tanks. Das neokonservative American Enterprise Institute etwa suggeriert in seinen aktuellen Veröffentlichungen immer öfter eine Beihilfe Irans bei Attentaten auf US-Truppen.

Norman Podhoretz, einer der intellektuellen Gründerväter des Neokonservatismus, propagiert mit seinem aktuellen Buch "World War IV: The Long Struggle Against Islamofascism" einen militärischen Schlag gegen Iran. Vom "Vierten Weltkrieg" schreiben die Neocons deshalb, weil sie den Kalten Krieg bereits als Weltkrieg mitzählen.

Werbung für einen Vierten Weltkrieg

Einen kürzlich erschienenen Essay beendete Podhoretz mit der Aussage, er "bete als Amerikaner und als Jude mit ganzem Herzen dafür", dass Präsident Bush "es" tun würde - Teheran angreifen. In Interviews gibt sich der Neokonservative sicher, dass es zu diesem Krieg bald kommen werde.

Es ist nicht unerheblich ist, was Podhoretz und andere denken und schreiben, schließlich pflegen sie enge Verbindungen zu Bush und den Republikanern. So machte Podhoretz beispielsweise für ein neues Buch Werbung, in dem er ein Treffen mit dem US-Präsidenten öffentlich machte, bei dem er Bush angeblich 45 Minuten lang darlegen durfte, warum eine Bombadierung Irans unabdingbar sei.

Ein Ende seiner säbelrasselnden Rhetorik ist mit dem Ende der Amtszeit Bush nicht in Sicht: Podhoretz ist derzeit der außenpolitische Berater des republikanischen Präsidentschaftsbewerbers Rudy Giuliani.

Und nicht einmal ein Demokrat im Weißen Haus würde das Ende des Neokonservatismus in der amerikanischen Politik bedeuten. In diesem Fall werden die Neokonservativen in Think Tanks und Universitäten überwintern und die Politik weiter als Publizisten und Berater beeinflussen.

Geld gegen gute Drähte

Dass einige diesen Sprung jetzt schon wagen, liegt also weniger an einem Ende der Doktrin - als am nahenden Ende der Amtszeit des Präsidenten.

Nur noch vierzehn Monate ist Bush der Boss im Weißen Haus. Da ist es nachvollziehbar, dass manche Mitarbeiter schon jetzt lukrative Verträge als Publizisten und Berater unterschreiben.

Denn wahrscheinlich ist nicht nur Bushs ehemaliger Sprecher Tony Snow der Meinung, dass man in der aktiven Politik zu wenig verdient. Er hatte im August mit der Begründung gekündigt, dass ihm seine 125.000 Euro im Jahr angeblich nicht mehr zum Leben reichen.

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