Algerien:"Freigeschossen, freigekauft, freigelassen"

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In Algerien widersprechen sich die Berichte über die Rettung der Geiseln. Die Entführer sollen Verbindung zum Al-Qaida-Netzwerk haben.

Rudolph Chimelli

(SZ vom 15.5.2003) - Laut einem Communiqué der algerischen Streitkräfte sind die 17 Touristen am frühen Morgen des Dienstag befreit worden, als Soldaten etwa 1900 Kilometer südlich von Algier (bei Amguid, nördlich der Wüstenstadt Tamanrasset) auf einen Schlupfwinkel von Terroristen stießen.

Die Entführer gehörten der islamistischen Gruppe für Predigt und Kampf an, die ihrerseits in Verbindung zu Osama bin Ladens Terrororganisation al-Qaida stehen soll. Von neun Terroristen, die dabei laut algerischen Pressemeldungen getötet wurden, war in der Mitteilung nicht mehr die Rede.

Das Communiqué war die erste offizielle Stellungnahme zu einem Vorgang, über den in Algerien am Mittwoch widersprüchliche Versionen kursieren. Sie stammten teils von Mitarbeitern der unabhängigen privaten Presse, teils von Diplomaten oder Geschäftsleuten.

Danach sollen der gewaltsamen Befreiung Verhandlungen vorausgegangen sein, in denen die Behörden den Entführern angeblich Lösegeld anboten. Diese seien darauf jedoch nicht eingegangen, weil sie ihre Aktion politisch verstanden wissen wollten. Die Sondierungen seien über die staatliche Erdölgesellschaft "Sonatrach"gelaufen, die in der Gegend von Tamanrasset wichtige Fördergebiete hat. Erst nach dem Scheitern habe sich die Armee zum Angriff entschlossen.

Spekulationen über Pannen

Angesichts der dürren Informationslage des Landes haben solche Darstellungen genau so viel oder genau so wenig Glaubwürdigkeit wie die Mitteilungen der Regierung. Die Zeitung Liberté war die erste, welche die Befreiung gemeldet hatte, lange bevor die Behörden Laut gaben. In dem makabren Ratespiel, das danach in Medienkreisen einsetzte, war ab-wechselnd von "Freigeschossen, freigekauft, freigelassen" die Rede, von gefallenen Soldaten oder von Opfern auch unter den Geiseln. Nach wieder anderen Berichten, seien die Touristen einfach davongelaufen, als sie algerische Soldaten in der Nähe erblickten. Nichts davon ist bislang nachprüfbar.

Das lange Schweigen Algiers lässt sich leicht damit begründen, dass die Geiseln, die sich noch in den Händen der Entführer befinden, nicht gefährdet werden dürfen. Sie sollen angeblich 500 Kilometer weiter nördlich in der Gegend von Illizi festgehalten werden. Zugleich gibt die Geheimhaltung den Spekulationen Nahrung, dass bei der Befreiung nicht alles wunschgemäß verlaufen sei.

Die "Gruppe für Predigt und Kampf" ist gewöhnlich in den Bergen nahe des Mittelmeers aktiv, fast 2000 Kilometer von Tamanrasset entfernt. Sie dürfte zwischen 300 und 500 Mann umfassen.

Ihr Chef ist Hassan Hattab, genannt "der Para", weil er vor zehn Jahren aus einer Fallschirmjägereinheit der algerischen Armee desertiert ist. Bisher richtete die Gruppe ihre Anschläge vorwiegend gegen Militär und Polizei, nicht gegen Zivilisten, was ihr bei Teilen der Bevölkerung sogar gewissen Respekt eintrug.

Die "Prediger und Kämpfer" trennten sich von den "Bewaffneten Islamischen Gruppen GIA", die für ihre Gewalttätigkeit berüchtigt sind. Selber bezeichnet sich die Gruppe als "salafistisch". Damit ist gemeint, dass sie nicht für ein islamisches Algerien kämpft, sondern für die Durchsetzung einer koranischen Ordnung in der gesamten islamischen Welt. In der Praxis geht es jedoch wenig um theologische Feinheiten, als um das Überleben im Rache- und Ausrottungskrieg gegen das Regime.

Der Marlboro Pate

Der im Zusammenhang mit der Entführung erwähnte Unterführer Mochtar Belmochtar, ein Berber aus Ghardaia am nördlichen Rande der Wüste, gilt nicht als politischer Aktivist, sondern primär als Waffenlieferant. Wegen des einträglichen Zigarettenschmuggels trägt Mochtar den Spitznamen "Marlboro Pate". Doch seine Bande und andere bringen aus den südlichen Nachbarländern mit ihren Geländewagen und Tanklastern auch anderes: Haschisch, kolumbianisches Kokain, Kalaschnikows, Raketenwerfer und Schwarzafrikaner, die nach Europa wollen.

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