(SZ vom 19.9.01) - Die in Afghanistan regierenden Taliban haben eine Versammlung von tausend islamischen Gelehrten gebeten, eine Fatwa zu erarbeiten. Dieses religiöse Rechtsgutachten soll den Taliban helfen, eine Strategie angesichts eines drohenden amerikanischen Angriffs zu finden.
Fatwas dürfen nur von islamischen Geistlichen erstellt werden. Der Terrorist Osama bin Laden etwa, der sich in seinen Hasstiraden gerne auf den Islam beruft, hätte dazu kein Recht. In der Regel geht es um die formelle Beantwortung einer Rechtsfrage durch islamische Gelehrte, die Ulama, oder einen Mufti, den von der Gemeinde anerkannten Experten in islamischer Theologie und Rechtskunde.
Fatwas sollen Unsicherheit in der Auslegung klären - sie entscheiden, ob eine Handlung mit dem islamischen Recht vereinbar ist. Der Rechtsgelehrte darf Koran und Scharia, die beiden wichtigsten Bestandteile des islamischen Rechts, jedoch nicht frei interpretieren, sondern muss sich an Präzedenzfällen orientieren.
Hunderte von Fatwas werden jährlich in Ländern, in denen die Scharia gilt, erlassen. Sie betreffen meist Fragen des täglichen Lebens - Heirat, Erbschaft oder Scheidung. Die Bedeutung der Fatwas wird in der westlichen Welt oft überschätzt - sie sind nur bedingt verbindlich und gelten keinesfalls für die gesamte islamische Welt. Weil es im Islam keine zentrale religiöse Instanz gibt, können sich die Fatwas auch widersprechen.