AfD - Eine Partei zerlegt sich:Vor dem Sturm

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Der den Hut nimmt: Hans-Olaf Henkel auf dem Weg zu einer Pressekonferenz (Foto: John MacDougall/AFP)

Es beginnt als Petitesse: War der nordrhein-westfälische AfD-Landesvorsitzende Pretzell ordentlich gemeldet? Doch dann zieht sich Hans-Olaf Henkel zurück, Wortführer der Wirtschaftsliberalen.

Von Jens Schneider

Es ist eine Petitesse, die freilich korrekt geregelt sein möchte: Damit ein Politiker als Parteivorsitzender in einem Land Politik machen kann, sollte er besser dort auch angemeldet sein. Marcus Pretzell, 41, ist ein wortgewandter Anwalt aus Bielefeld. Von diesem Wohnort ging man lange aus im nordrhein-westfälischen Landesverband der AfD, dessen Chef Pretzell ist. Was aber, wenn er dort schon lange nicht mehr gemeldet war? Dann könnte, so warnte ein Prüfbericht seiner Partei, die AfD vor argen Schwierigkeiten stehen.

Der Europaabgeordnete Pretzell ist seit Juni 2014 Landeschef in NRW, im größten Landesverband der AfD. Bundesweit ist er in der Partei vor allem deshalb bekannt, weil er sich oft eigenwillig gegen den Vorsitzenden Bernd Lucke stellte. Nun sorgt die "Causa Pretzell", wie sie in der AfD in Schriftstücken genannt wird, für Aufruhr. Es begann mit einer Sonderprüfung rund um Pretzells Finanzprobleme und gipfelte an diesem Donnerstag im unerwarteten Rücktritt eines prominenten Pretzell-Gegners. Der frühere BDI-Chef Hans-Olaf Henkel, wie Pretzell und Parteichef Lucke Europaabgeordneter, trat als Bundes-Vize der AfD zurück, mit sofortiger Wirkung. Der Auslöser ist die heftige Kritik an einem Prüfbericht zu Pretzells Affäre, über den der seit Monaten zerstrittene Bundesvorstand sich noch weiter entzweit hat.

Henkel sieht bei führenden Funktionären charakterliche Defizite. Wer wohl gemeint ist?

Dieser Bericht belastet Pretzell, ihm werden massive Fehler vorgeworfen, vor allem wegen einer privaten Finanzaffäre, von der die Landespartei auf peinliche Art tangiert wurde. Pretzell wird attestiert, dass er überfordert sei. Die zwei vom Bundesvorstand beauftragten Prüfer legen ihm den Rücktritt von der Landesspitze nahe. Der Bundesvorstand nahm den Bericht zum Anlass, Pretzell abzumahnen. Allerdings kam die Rüge nur mit knapper Mehrheit zustande, mit 5:4 Stimmen. Lucke und Henkel setzten sich offenbar dafür ein. Alle Lucke-Gegner im Vorstand stimmten dagegen. Sie witterten den Versuch, einen unliebsamen internen Kritiker auszuschalten. Sie klagten, der Bericht sei parteilich und unsauber.

Wieder mal wurde der Streit in der AfD sehr persönlich geführt, so reagierte Pretzell mit spöttischen Angriffen auf Henkel, dem er vorwarf, mehr im Urlaub zu sein als im Parlament. Nun hat Henkel genug. Es geht freilich nicht um Pretzell allein: Gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung begründete er seinen Rückzug mit Versuchen von "Rechtsideologen", die Partei zu übernehmen, auch spricht er von charakterlichen Defiziten führender Parteifunktionäre. Sollte es nicht zu einer Klärung im Richtungsstreit der Partei kommen, drohe ihr der Untergang: "Dann wird die AfD scheitern. Das ist meine feste Überzeugung". Er dürfte die Lucke-Gegner Frauke Petry und Konrad Adam, vor allem aber den Brandenburger AfD-Chef Alexander Gauland gemeint haben, die Symbolfigur des rechtskonservativen Flügels im Flügelstreit gegen Lucke und Henkel. Gauland warnte immer heftiger, diese beiden wollten eine wirtschaftsliberale Partei aus der AfD machen. Er bezeichnete das Vorgehen gegen Pretzell als "Schmierenkomödie". Henkels Rücktritt fand er nun verwunderlich: Von einem Recktsruck könne keine Rede sein. Zuletzt hätten Lucke und Henkel sich im Vorstand immer durchgesetzt. In der "Causa Pretzell" ging es zunächst um dessen Probleme mit dem Finanzamt, das sich an seine Landespartei gewandt hatte, um Zahlungen und Zwangsgelder einzutreiben. Während die peinliche Angelegenheit inzwischen erledigt ist, brachte die Prüfung im Auftrag des Bundesvorstands ans Licht, dass Pretzell lange keinen Wohnsitz in NRW mehr gehabt zu haben scheint. Von einem "dringenden Verdacht" sprechen die Prüfer.

In dem Konflikt geht es freilich höchstens am Rande um Nordrhein-Westfalen, sondern um den Showdown im Kampf der Flügel in der Bundespartei. Es ist der Anfang der Entscheidungsschlacht, die beim Bundesparteitag in Kassel im Juni erwartet wird. Dort wird die AfD einen neuen Vorstand wählen, erstmals soll ein alleiniger Chef bestimmt werden. Das will Lucke sein. Er will zudem nicht weiter von Gegnern im Vorstand umgeben sein. Die aber sammeln ihre Kräfte, um ein Gegengewicht aufzubauen. So kämpfen die Lager um Dominanz und Delegiertenplätze. In Nordrhein-Westfalen steht die Wahl der Delegierten noch aus. Das sollte am Wochenende passieren. Der Parteitag musste abgesagt werden, weil nicht ordnungsgemäß eingeladen wurde.

Nun muss das Landesschiedsgericht prüfen, ob die Partei in NRW einen ordentlichen Vorsitzenden hat. Es gibt Wirrwarr um Pretzells Meldeadresse und die Frage, ob er in Bielefeld wieder gemeldet ist, vielleicht rückwirkend. "Diese Sache hat unsere Partei gespalten", sagt Reiner Rohlje, ein Mitglied des Vorstands. "Es geht gar nicht um Flügel, sondern darum, dass die Leute eine Führung wollen, die sich an Recht und Ordnung hält." Pretzell verspricht nun, dass er die Wohnsitzfrage richtig stellt. Er nennt das ganze einen "Sturm im Wasserglas"

© SZ vom 24.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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