Ärzte:Verlierer klagen, Gewinner schweigen

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Das Gesundheitssystem im Ausnahmezustand: Viele niedergelassene Mediziner fürchten Verluste - doch nicht alle Sorgen sind berechtigt.

Guido Bohsem

Tausende Versicherte haben ihre Kassen alarmiert. Allein bei der Deutschen Angestellten Krankenkasse gingen 1500 Beschwerden ein. Ihre Ärzte, so klagen die Patienten, verlangten Vorkasse oder wollten nur noch auf Rechnung behandeln. Das deutsche Gesundheitssystem befindet sich derzeit im Ausnahmezustand, und die Leidtragenden sind die Patienten. Nie zuvor war die Stimmung unter den etwa 140.000 niedergelassenen Ärzten so schlecht, die Wut unter den Medizinern so groß.

Der Zorn von vielen richtet sich gegen die seit Anfang des Jahres geltenden Regeln zur Verteilung der Arzthonorare. Bis zu drei Milliarden Euro sollten die Mediziner zusätzlich bekommen, was rein rechnerisch für jeden ein Plus von zehn Prozent ausmacht. Tatsächlich führte die Reform ins Chaos. In Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein klagen einzelne Facharztgruppen über massive Umsatzeinbrüche durch die Reform.

Im oberbayerischen Landkreis Miesbach haben alle 83 Facharztpraxen für insgesamt 14 Tage aus Protest geschlossen. In Schleswig-Holstein wollen viele Fachärzte ihre Praxen von Montag an bis Ende März nur noch 20 Stunden in der Woche öffnen. Am vergangenen Mittwoch protestierten rund 4000 Orthopäden und Unfallchirurgen in ganz Deutschland mit Praxisschließungen und Informationsveranstaltungen für die Patienten.

Ärzteproteste könnten das Superwahljahr verhageln

Die Lage ist so verfahren, dass die bayerische Landesregierung das gesamte Regelwerk wieder kippen möchte. Einen entsprechenden Antrag hat Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) bereits im Bundesrat gestellt. Am Mittwoch trifft er sich mit Kanzleramtsminister Thomas de Maizière (CDU), um die Sache zu beraten. Die Union fürchtet, dass ihr die Ärzteproteste das Superwahljahr verhageln.

Darauf setzt offenbar Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). Sie spart zwar nicht an Kritik an den widerrechtlichen Protestaktionen der Ärzte, eine grundlegende Änderung der Honorarreform will sie aber nicht. Dahinter steckt das Kalkül, dass nur wenige Ärzte die SPD wählen. Rigoros weist Schmidt zudem Forderungen nach zusätzlichen Mitteln für die Ärzte zurück. 1,5 Milliarden Euro mehr hatte etwa der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, gefordert.

Viele Ärzte und auch Beitragszahler fragen sich, wie die maßgeblich von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ausgearbeitete Reform so schiefgehen konnte und vor allem, wo die drei Milliarden Euro geblieben sind. Grob gesprochen sind es vier Problemfelder, die das neue System beeinträchtigen.

Das Plus von drei Milliarden Euro errechnet sich auf Basis der 2007 gezahlten Honorare. 2008 sind die Honorare der Ärzte jedoch im Schnitt um mehr als fünf Prozent gestiegen und damit deutlich stärker als die eigentlich vorgesehenen 0,64 Prozent. War das Honorarplus 2008 also höher als das in der Reform geplante, sinken die Honorare 2009. Das ist in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein der Fall.

Nur die West-Ärzte protestieren

Ein verhältnismäßig großer Anteil der drei Milliarden Euro geht an die niedergelassenen Ärzte in Ostdeutschland. Sie schließen damit bei den Honoraren zu denen der Mediziner im Westen auf. So liegt das Plus für die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Thüringen auch im Vergleich 2008 zu 2009 noch bei mehr als 17Prozent. Die ostdeutschen Mediziner sind insgesamt zufrieden mit der Reform - nur die West-Ärzte protestieren.

Wegen der Reform wird das Arzthonorar nicht mehr in Punkten, sondern in Euro und Cent berechnet. Deshalb erkennen viele Ärzte zum ersten Mal, wie viel Geld ihnen die Behandlung eines Patienten tatsächlich einbringt. Das verursacht Aufregung. So klagen die Orthopäden darüber, dass sie einen komplizierten Handbruch nicht für 32 Euro im Quartal verarzten können, die ihnen pro Patient zustehen.

Sie verschweigen jedoch gerne, dass es sich dabei um einen Durchschnittswert handelt. Sprich: Der Doktor erhält die 32 Euro auch, wenn er seinen Patienten nur kurz sieht, um ein Rezept zu verlängern. Auch wird das Honorar des Arztes nicht gekappt, wenn er mehr abrechnet, als ihm theoretisch im Monat zusteht, das sogenannte Regelleistungsvolumen. Er erhält allerdings für jede Leistung weniger Geld. Weil sich das Regelleistungsvolumen an früheren Daten orientiert, werden jene Ärzte bevorzugt, die in der Vergangenheit viele Patienten behandelt haben. Praxen mit wenigen, aber schweren Fällen sind benachteiligt.

Kein niedergelassener Arzt weiß derzeit, wie viel er tatsächlich im ersten Quartal verdienen wird. Die meisten können nämlich zusätzliche Leistungen abrechnen, die nicht im Regelleistungsvolumen enthalten sind, das ihnen ihre KV in Aussicht gestellt hat. Dabei handelt es sich beispielsweise um sämtliche Leistungen zur Vorbeugung, um ambulante Operationen, dringende Hausbesuche und Akupunktur. Der Anteil dieser Leistungen am Honorar eines Frauenarztes macht etwa 70 Prozent aus, bei Orthopäden rund 40 Prozent. Allerdings gibt es auch Facharztgruppen, bei denen der Anteil dieser Leistungen gering ist, wie zum Beispiel bei Psychiatern. Sie sind die eigentlichen Verlierer der Reform.

© SZ vom 14.03.2009/af - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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