Änderung zum 1. April:Gesundheitsreform tritt in Kraft

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Es ist kein Aprilscherz: Ab heute gelten erste Teile der neuen Gesundsheitreform. Und nicht mal ein Fünftel der Bevölkerung weiß genau, was sie wirklich erwartet.

Nach einjährigen Verhandlungen zwischen Union und SPD treten an diesem Sonntag erste Teile der Gesundheitsreform in Kraft. Damit werden die Leistungen für gesetzlich Versicherte ausgeweitet, Krankenkassen können neue Wahltarife anbieten. Nichtversicherte, die früher gesetzlich versichert waren, können sofort wieder in ihre alte Kasse zurück. Der Gesundheitsfonds als zentrale Beitragsammelstelle kommt aber erst 2009.

Gesundheitsreform tritt in Kraft (Foto: Foto:)

Eine Umfrage bringt erschreckende Ergebnisse ans Tageslicht: nur 18 Prozent der Deutschen wissen genau, was sich dadurch ändert. 81 Prozent wissen es laut einer Umfrage des Forsa-Instituts im Auftrag von "Bild am Sonntag" nicht. Auch von den Bürgern mit Abitur und Studium gibt nur ein Viertel an, sie seien genau informiert.

Am besten Bescheid wissen nach eigenen Angaben Anhänger der Grünen (44 Prozent). Unter den Sympathisanten der CDU/CSU sind es 20 Prozent, unter denen der SPD 16 Prozent, unter denen der FDP 23 Prozent. Am wenigsten informiert sind nach eigenen Angaben Anhänger der Linkspartei mit sechs Prozent. Forsa befragte für die repräsentative Erhebung am Donnerstag und Freitag ca. 500 Menschen.

Was sich ändert

Bereits jetzt ausgeweitet werden die Leistungen der Kassen bei Impfungen, Eltern-Kind-Kuren, Reha-Behandlungen für alte Menschen und bei der Betreuung Schwerstkranker und Sterbender in den eigenen vier Wänden. Wer Vorsorgeuntersuchungen versäumt und später schwer krank wird, muss künftig mehr zuzahlen.

Die Behandlung von Komplikationen nach Piercings wird nicht mehr bezahlt. Zudem werden Kliniken mit der Gesundheitsreform für ambulante Behandlungen geöffnet. Unter den Wahltarifen, die die Kassen nun anbieten können, sind etwa Selbstbehalt- oder Rückerstattungstarife sowie Tarifmodelle, in deren Rahmen auch homöopathische Arzneimittel bezahlt werden.

Nur 15 Kassen bieten neue Spar-Tarife

Bisher können nur 15 Krankenkassen ihren Versicherten die mit der Gesundheitsreform beschlossenen neuen Wahl-Tarife anbieten, darunter vor allem Allgemeine Ortskrankenkassen.

Das ergab eine Umfrage des Nachrichtenmagazins "Focus" unter allen 233 Anbietern. Die Aufsichtsbehörden genehmigten die neuen Spar-Tarife mit Selbstbehalten oder Beitragsrückerstattungen vor allem für die meisten regionalen AOKs sowie für die Barmer.

39 Kassen wollten ab April solche Spar-Tarife anbieten. Die meisten erhielten jedoch bis Ende März keine Genehmigung. Versicherte, die ab April Tarife mit Beitragsrückerstattung oder Selbstbehalt wählen, können dem Magazin zufolge pro Jahr bis zu 600 Euro sparen.

Bei den meisten Kassen dürfen die Tarif-Sparer auch weiterhin den Arzt aufsuchen und Vorsorgeuntersuchungen nutzen, ohne ihren Bonus zu gefährden. Allerdings dürfen sie sich keine Rezepte mehr auf Kassenkosten ausstellen lassen und keine weitergehenden Kosten verursachen. In diesen Fällen geht die Ersparnis verloren.

Verbraucherschützer und Gewerkschaften : Vorsicht angebracht

Unterdessen raten Verbraucherschützer und Gewerkschaften zur Vorsicht bei den Wahltarifen, die von den Krankenkassen mit Inkrafttreten der Gesundheitsreform angeboten werden. "Wer jetzt nichts macht, macht nichts verkehrt", sagte der Gesundheitsexperte der Verbraucherzentrale Bundesverband, Thomas Isenberg, der "Berliner Zeitung". DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach erklärte, ein großer Teil der neuen Tarife berge große Risiken.

Verbraucherschützer Isenberg wies darauf hin, dass die neuen Wahltarife keine Verpflichtung seien. "Für viele Versicherte ist es weiterhin sehr gut, wie bisher versichert zu bleiben", sagte er dem Blatt. Er riet dazu, erst einmal abzuwarten, wie sich das Angebot an Wahltarifen in den nächsten Monaten entwickeln wird.

Derzeit gehe es vor allem darum, wie viel Geld man sparen könne. Künftig werde die Qualität der Tarifleistungen mehr in den Vordergrund rücken. Im Zuge der Gesundheitsreform sollen künftig alle gesetzlich Krankenversicherten durch Wahltarife die Möglichkeit haben, den Umfang ihres Versicherungsschutzes stärker selbst zu bestimmen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) riet ebenfalls zur Vorsicht: Manche der neuen Angebote seien zwar auf den ersten Blick attraktiv, könnten aber die Versicherten teuer zu stehen kommen: Beispielsweise, wenn sie doch einmal krank würden oder einen Unfall hätten und dann nur noch zum Teil abgesichert seien, erklärte Buntenbach.

Sie wies zudem darauf hin, dass die Prämien und Beitragsnachlässe die Einnahmen der Kassen verringerten. "Die Mittel, die an die Jungen, Gesunden zurückfließen, fehlen dann für die Älteren und Kranken", erklärte sie. Dadurch drohten womöglich höhere Beiträge ab dem Jahr 2009.

"Großer sozialpolitischer Fortschritt"

Der Gesundheitsfonds als zentrale Beitragsammelstelle kommt erst 2009. Von diesem Zeitpunkt an gilt für gesetzlich Versicherte ein bundesweit einheitlicher Beitragssatz. Zudem greift dann eine Pflicht zur Krankenversicherung: Die 200 000 bis 300 000 Nichtversicherten müssen also in die gesetzlichen und privaten Kassen zurückkehren.

Ein Recht auf Rückkehr haben ehemals gesetzlich Versicherte ohne Schutz ab sofort und ehemals Privatversicherte ohne Schutz vom 1. Juli an. Von 2009 an müssen die Privatkassen einen Basistarif anbieten, der im Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht.

"Jeder ist künftig gegen das Risiko Krankheit versichert. Das ist ein großer sozialpolitischer Fortschritt", erklärte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) am Samstag in Berlin. Gesundheit bleibe bezahlbar, betonte sie und bat um Unterstützung bei der Umsetzung der Reform.

Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Marion Caspers-Merk (SPD) betonte im Deutschlandradio Kultur: Mit der Reform würden Verkrustungen aufgebrochen und die Solidarität gestärkt. Sie rechnet durch die Reform mit deutlichen Verbesserungen für die Versicherten und stabilen Beiträgen der gesetzlichen Krankenkassen. Für dieses Jahr erwartet Marion Caspers-Merk keine weiteren Beitragserhöhungen.

Bundestag und Bundesrat hatten das zentrale Reformvorhaben der großen Koalition im Februar gebilligt. Bedeutende Teile der Reform wie der Gesundheitsfonds starten allerdings erst Anfang 2009.

© sueddeutsche.de/dpa/AFP - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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