Abtreibungsrecht:Stern der Ungeborenen

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Viele neue Rechte verteidigen niemanden so inbrünstig wie die Ungeborenen. Der Schutz von Frauen scheint ihnen weniger wichtig zu sein.

Von Nadia Pantel

In Polen geistert eine Zeichnung durchs Internet, auf der eine Gebärmutter den erhobenen Mittelfinger zeigt. Kein anderes menschliches Organ wird so heftig politisiert, keines ist derart umkämpft. Polen wagt dabei den neuesten Vorstoß. Dort wurde vergangenen Sonntag in allen katholischen Gottesdiensten ein Hirtenbrief verlesen. Folgende Kunde ging an die Gläubigen: Eure Kirche unterstützt ein Bürgerbegehren, das gesetzlich festschreiben will, dass Frauen für Abtreibungen mit Gefängnis bestraft werden können, auch nach einer Vergewaltigung oder einem Inzest. Ein solches Gesetz fänden sowohl die Ministerpräsidentin Beata Szydło als auch ihr Parteivorsitzender Jarosław Kaczyński gut. Die Gebärmutter mit erhobenem Mittelfinger ist der Aufruf zur Gegendemo am kommenden Wochenende.

Man könnte meinen, dass der Streit um Abtreibung ein medizinischer sei; dass es um die Frage geht, wann Leben beginnt. Aber wer sich die Debatten zum Thema anschaut, lernt wenig über die Entwicklungsstadien befruchteter Eizellen, aber viel über Moralvorstellungen, religiöse Gefühle und Frauenbilder. Dabei sind die Rollen klar verteilt. Konservative sind gegen Abtreibung, Liberale sind dafür. Die beiden Lager schreien einander so lange an, bis es klingt, als seien die einen für Babys und die anderen dagegen.

Die neue Rechte will Frauen ihre Version vom Glück vorschreiben

Die Neu-Rechte hat dieses Geschrei nun für sich entdeckt. Von dem Amerikaner Donald Trump über den Polen Kaczyński und die Französin Marine Le Pen bis zur deutschen AfD gilt: Wer findet, dass Muslime ein Problem sind und dass "der Westen" sich mit seinem Laissez-faire selbst abschafft, ist meist auch gegen Abtreibung. Im Umfeld von Le Pens Front National gilt Abtreibung manchen als "französischer Genozid". Die AfD-Spitzenfrau Beatrix von Storch brüstet sich mit ihrem Einsatz für das Leben Ungeborener.

Diese Rhetorik kommt aus den USA: Wenige Menschen werden von republikanischen Hardlinern so inbrünstig unterstützt wie diejenigen, die noch nicht geboren sind. Als Trump vor Kurzem forderte, abtreibende Frauen müssten bestraft werden, verhedderte er sich zwar in den Argumenten seiner eigenen Partei und vergaß, dass seine Wähler Frauen schonen und Ärzte strafen wollen; aber er stellte trotz aller Wirrnis klar: Wer für das Gute ist, ist auch für den Fötus.

Tatsächlich sind Föten maximal unschuldig. Nur wachsen sie eben nicht in Petrischalen heran, sondern in Frauen. Deren Schutz scheint Trump, Kaczyński, Le Pen und Storch wenig wert zu sein. Das Guttmacher Institute, das über Geburtenkontrolle forscht, geht davon aus, dass im Jahr 2008 weltweit 20 Millionen Frauen ohne ärztliche Unterstützung abgetrieben haben und dabei ihr Leben riskierten, weil sie keine legale Alternative hatten. Und in den US-Staaten mit den restriktivsten Abtreibungsgesetzen wird besonders häufig gegoogelt, wie man sich am besten eine Treppe hinunterstürzt, damit der Fötus tödlichen Schaden nimmt.

Dieselben Politiker, die mit Verweis auf die schlechte Situation der Frauen in Iran, Saudi-Arabien oder Pakistan vor dem Islam warnen, empfehlen eine Familienpolitik, die von religiösen Dogmen statt von Vernunft geprägt ist. Viele Christen in Deutschland mag das ärgern, aber der Papst rät immer noch zum Verzicht auf Kondome und verbietet Abtreibungen. Die einzige Form von Verhütung, die dann bleibt, ist Enthaltsamkeit. Dass das für die Mehrheit keine Option ist, zeigt bei jedem Frühlingsspaziergang die Masse knutschender Pärchen. Wer gegen Sex ist, holt keine Wähler an die Urne.

Daher zielt der rechte Sexual-Wahlkampf nicht auf das Verhalten von Mann und Frau, sondern nur auf das der Frau. Macht, was ihr wollt, aber wenn die Frau schwanger wird, muss sie auch gebären. Es gibt durchaus menschenfreundliche Gründe, die für eine strenge Abtreibungspraxis sprechen. Etwa die Erkenntnis, dass einige pränatale Tests dazu führen können, dass nur noch zu 100 Prozent nicht behinderten Kindern das Leben geschenkt wird. Darüber sollten Linke wie Rechte diskutieren, aber doch nicht über die Frage, ob Frauen nach Vergewaltigung oder Missbrauch zum Austragen eines Kindes gezwungen werden sollten.

In Ländern mit halbwegs solider sexueller Aufklärung sinkt die Zahl der Abtreibungen kontinuierlich, weil weniger ungewollte Kinder gezeugt werden. Wozu also die Aufregung? Sie hat mehr mit dem Familienideal der neuen Rechten zu tun als mit einem realen Problem. Der Junggeselle Kaczyński, die geschiedene Le Pen, der Frauensammler Trump: Keiner von ihnen war in der lebenslangen Kleinfamilie zufrieden. Umso rigoroser glauben sie nun, ihre Version von privatem Glück durchsetzen zu müssen.

© SZ vom 07.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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