Abschiebung:Italien schickt Flüchtlinge zurück nach Afrika

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Rom spricht von "Ausnahmezustand" in den Auffanglagern und fliegt Hunderte Asylbewerber nach Libyen aus. Beim Untergang eines Flüchtlingsbootes vor Tunesien starben mindestens 17 Menschen.

Nach der Abschiebung von mehreren hundert illegalen Einwanderern hat die italienische Regierung am Montag weitere Massenausweisungen angekündigt. Die Regierung handle mit "der notwendigen Entschiedenheit" und im Einklang mit dem Gesetz, sagte Innenminister Giuseppe Pisanu. Oppositionspolitiker und Vertreter von Hilfsorganisationen kritisierten die Rücksendepraxis hingegen als "zynisch und inhuman". Allein am Wochenende wurden etwa 600 Flüchtlinge über eine Luftbrücke von der Insel Lampedusa zur libyschen Hauptstadt Tripolis geflogen.

Pisanu sprach von einem "Ausnahmezustand", der ihn zum Handeln gezwungen habe, nachdem in den letzten Tagen eine Welle von Zuwanderern die italienischen Küsten erreicht hatte. So registrierten die Hafenbehörden auf Lampedusa allein am Wochenende mehr als 1200 Neuankömmlinge. Das dortige Auffanglager verfügt über 190 Plätze. Vor der sizilianischen Stadt Ragusa landeten in der Nacht zum Montag noch einmal etwa 190 Menschen. Ein Flüchtlingsboot mit Kurs nach Italien kenterte vor der tunesischen Küste; bis zum Montagmittag waren 17 Leichen geborgen, 50 Menschen wurden noch vermisst.

Offensichtlich hatte die ruhige See vermehrt Flüchtlingsschiffe aufs Meer gelockt. Außerdem sollten vom heutigen Dienstag an die Kontrollen im Mittelmeer verstärkt werden. Nach dem Überwachungsprogramm "Nettuno 3", an dem unter anderem Italien, Malta und Spanien teilnehmen, soll ein Dutzend Schiffe in den internationalen Gewässern vor Lampedusa kreuzen, um Flüchtlingsboote schon frühzeitig zum Umkehren zu bewegen. Auch der Einsatz von Hubschraubern ist geplant.

Bereits im vergangenen Jahr hatten Italien und Libyen eine bilaterale Vereinbarung zur Flüchtlingsfrage unterzeichnet, deren Umsetzung bisher das europäische Waffenembargo gegen Tripolis entgegenstand. Dieses soll nun aufgehoben werden. Daher führte Pisanu bereits in den letzten Tagen Verhandlungen mit Libyen, welche die derzeitige Rücksendeaktion ermöglichten.

Nach italienischer Darstellung werden nur Menschen zurückgeschickt, "die kein Recht auf Asyl haben", was aufgrund von Dokumenten und Aussagen der Betroffenen geprüft wird. Vertreter von Hilfsorganisationen bezweifelten jedoch, dass dies in der Kürze der Zeit möglich sei. Auch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) zeigte sich besorgt. UNHCR-Sprecher Diederik Kramers sagte der Süddeutschen Zeitung, man habe Pisanu schriftlich darum gebeten, sowohl in Italien als auch in Libyen Kontakt zu den Flüchtlingen aufnehmen zu können. "Sie sollten Zugang zu einem geordneten Verfahren erhalten", sagte Kramers. Auch EU-Kommissar Antonio Vitorino hatte beim Treffen der EU-Innenminister betont, Flüchtlinge, die sich in europäischen Hoheitsgewässern oder auf dem Territorium der EU befänden, müssten ordnungsgemäß überprüft werden.

© SZ vom 05.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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