Abbas spricht von Putsch:Bürgerkrieg im Gazastreifen

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Die rivalisierenden Gruppen Hamas und Fatah liefern sich erbitterte Kämpfe. Angesichts der ausufernden Gewalt zogen sich nun auch die Minister der Fatah bis auf Weiteres aus der palästinensischen Regierungskoalition zurück.

Thorsten Schmitz

Der Machtkampf zwischen den Palästinensergruppen Hamas und Fatah im Gazastreifen entwickelt sich immer mehr zum Bürgerkrieg. Kämpfer der radikalislamischen Hamas stürmten Hauptquartiere der Fatah, der Palästinenserpräsident Machmud Abbas angehört. Er sprach von einem Putschversuch. Die Minister der Fatah zogen sich am Dienstagabend aus der Regierungskoalition mit der Hamas zurück.

Hamas-Kämpfer in Gaza-Stadt (Foto: Foto: AFP)

Bei den Kämpfen kamen nach Angaben der Nachrichtenagentur AP seit Montag 37 Menschen um. Mehr als 80 seien verletzt worden, hieß es in weiteren Berichten. Das Haus von Regierungschef Ismail Hanija wurde mit Mörsergranaten beschossen. Er ist Mitglied der Hamas. Angesichts der ausufernden Gewalt beenden die Minister der Fatah bis auf Weiteres ihre Beteiligung an der palästinensischen Regierungskoalition, wie das Zentralkomitee der Organisation am Dienstag mitteilte.

Die Hamas verkündete am Dienstag, die Gruppe habe die Kontrolle über Sicherheitseinrichtungen an mehreren Orten des Gazastreifens übernommen. Hamas-Milizen besetzten dort am Dienstag sämtliche Polizeistationen. 90 Mitglieder der Leibgarde von Abbas, die der Fatah angehörten, hätten sich ergeben, hieß es. Auch der Sitz des Präventiven Sicherheitsdienstes, der vorwiegend aus Fatah-Leuten besteht, wurde angegriffen.

Im Westjordanland besetzten Fatah-Anhänger einen Fernsehsender der Hamas. Der Versuch ägyptischer Vermittler, einen Waffenstillstand zu erreichen, ist nach Angaben von Nachrichtenagenturen am Dienstagnachmittag gescheitert. Zuvor war der Amtssitz von Abbas beschossen worden. Der Präsident hielt sich am Dienstag in Ramallah im Westjordanland zu Gesprächen mit Mitgliedern seiner Fatah-Gruppe auf. Er warf der Hamas einen Putschversuch vor, die Gruppe wolle die Kontrolle über den Gazastreifen mit Gewalt an sich reißen.

Die Lage in dem umkämpften Gebiet könne "nur noch als Krieg bezeichnet werden", sagte der Fatah-Funktionär Maher Mikdad in einem Rundfunkinterview. In einer Botschaft forderte die Fatah ihre Mitglieder dazu auf, alle Hamas-Leute anzugreifen. Der palästinensische Informationsminister Mustafa Barghuti warnte in einem Interview am Dienstag vor einem vollständigen Zusammenbruch der Autonomieregierung.

Seit der Bildung einer Koalition von Hamas und Fatah im März ist es immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen gekommen, bei denen bislang mehr als 80 Palästinenser getötet wurden. Die neuesten Zusammenstöße werden mit großer Brutalität ausgetragen. Hamas-Milizionäre schleppten Fatah-Mitglieder auf Hochhäuser und stießen sie von den Dächern in den Tod. Auch wurden Patienten in Krankenhäusern getötet und Fatah-Politiker aus ihren Betten und Wohnhäusern gezerrt und mit Maschinengewehr-Salven getötet.

Große Wut löste in der Fatah die Ermordung des hochrangige Funktionärs Dschamal Abu al-Dschedijan aus, der in der Nacht zum Dienstag mit 45 Schüssen niedergestreckt worden war. Zuvor hatten Fatah-Mitglieder einen Neffen des 2004 von Israels Luftwaffe getöteten Hamas-Führers Abdel Asis Rantissi erschossen.

Seit dem Wahlsieg der Hamas vor anderthalb Jahren war stets ein Streitpunkt, wer die Hoheit über die zahlreichen palästinensischen Sicherheitsdienste hat. Diese bestehen überwiegend aus Anhängern der Fatah, die der Hamas den Gehorsam verweigern.

Obwohl Hamas die Wahl gewonnen hatte, weigerte sich Präsident und Fatah-Chef Abbas bisher, die Kontrolle über die Sicherheitsdienste abzutreten. Als Reaktion hatte die Hamas eine eigene bewaffnete Miliz gegründet, die nun parallel zu den Ordnungskräften agiert und den blutigen Bruderkampf begonnen hat.

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft forderte die rivalisierenden Palästinensergruppen auf, ihre Kämpfe einzustellen. Die Bundesregierung sei sehr besorgt über die Entwicklung und stehe in engem Kontakt mit den anderen EU-Staaten und den Partnern im Nahost-Quartett, um das gemeinsame Vorgehen abzustimmen, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes.

© SZ vom 13.06.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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