Israels "Gefangener X":Viele Pässe, viele Namen, keine Antworten

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Der Gefangene X, Ben Zygier, auf dem Titelbild einer australischen Zeitung. (Foto: AFP)

Das Geheimnis um Israels "Gefangenen X" ist gelüftet, doch das Mysterium wird immer größer. Der Australier Ben Zygier arbeitete wohl für den Mossad, aber was war seine Mission? Das Parlament hat eine Untersuchung angekündigt.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Seit das Geheimnis um den "Gefangenen X" gelüftet ist, wird das Mysterium immer größer: Der über Jahre vertuschte Fall des nach Israel ausgewanderten Australiers Ben Zygier, der Ende 2010 tot in der Zelle eines israelischen Hochsicherheitsgefängnisses hing, schlägt hohe Wellen in den Medien und in der Politik. Es ist ein realer Krimi, angesiedelt in der Schlammzone der Geheimdienste, der mangels Fakten einen weiten Raum für Spekulationen öffnet.

Die Regierung in Jerusalem befeuert noch die Fantasie mit steten Hinweisen auf Gefahren für die staatliche Sicherheit, die bei einer Offenlegung aller Details drohten. Nun hat sich immerhin das israelische Parlament aufgerafft und eine "intensive" Untersuchung angekündigt. Unter Druck steht Israel dabei auch aus Australien, wo eine eigene Prüfung angekündigt wurde.

Erste Spur führt nach Dubai

Ben Zygier, so viel ist gewiss, ist eine tragische Figur. Mit Enthusiasmus und voller zionistischer Ideale war er als junger Mann ungefähr im Jahr 2000 von Australien nach Israel ausgewandert, wo er heiratete und zwei Kinder bekam. Die Eltern sind in Melbourne bekannte Mitglieder der jüdischen Gemeinde, der Sohn folgte einer Mission - und es darf mittlerweile als gesichert gelten, dass diese Mission ihn zum Mossad brachte.

Israels Auslandsgeheimdienst weiß Mitarbeiter mit Doppelstaatsbürgerschaft zu schätzen, denn sie können mit den Pässen ihrer Herkunftsländer recht unverdächtig im Feindesland operieren. Wo und womit aber Ben Zygier, der unter verschiedenen Alias-Namen auftrat, beschäftigt war, liegt trotz mancher Spuren noch im Dunkeln.

Die erste Spur führte nach Dubai. Auffällig erschien der Zeitpunkt von Zygiers Verhaftung im Februar 2010 - unmittelbar nach dem Aufsehen erregenden Mord an Mahmud al-Mabhuch, dem Waffeneinkäufer der Hamas, der am 20. Januar in einem Dubaier Luxushotel tot aufgefunden worden war. Eine Zeitung in Kuwait wollte wissen, dass Zygier an diesem Einsatz beteiligt war, bei dem Agenten auch mit australischen Pässen operierten. Gefolgert wurde, dass er anschließend zum Verräter geworden sein könnte.

Weil die Mitglieder des mutmaßlichen Mossad-Kommandos von Hotelkameras eingefangen worden waren, ließ die Nachrichtenagentur Reuters schließlich von einem Forensik-Institut Fotos von Zygier mit den Bildern aus Dubai vergleichen. Das Ergebnis war negativ - Zygier konnte nicht identifiziert werden.

Eine Beteiligung an dieser höchst sensiblen Operation erscheint aber auch deshalb unwahrscheinlich, weil der vermeintliche Geheimagent Zygier zu diesem Zeitpunkt schon auffällig geworden war. Der australische Journalist Jason Koutsoukis, damals Nahost-Korrespondent mit Sitz in Jerusalem, hatte 2009 aus heimischen Sicherheitskreisen den Hinweis bekommen, dass Zygier in Geschäfte des Mossad verstrickt war, die zu einer Tarnfirma in Italien führten. Laut dem Spiegel sollen Zygiers diverse australische Pässe - unter den Namen Benjamin Burrows und Benjamin Allen - voll mit Einreisestempeln aus Iran gewesen sein.

Teil verdeckter Operationen und Sabotagen?

Zygier könnte also Teil jener verdeckten Operationen gewesen sein, die mit Sabotage und gezielten Tötungen von Wissenschaftlern das iranische Atomprogramm stoppen sollen. Ein Beweis, dass er selbst tatsächlich dort im Einsatz war, ist dies jedoch nicht. Es könnten schließlich auch andere Agenten die von ihm besorgten Pässen genutzt haben.

Der gezielte Hinweis an den Journalisten Koutsoukis spricht jedoch dafür, dass Zygier 2009 zwischen die Fronten konkurrierender Geheimdienste geraten ist. Der australische Sender ABC berichtet, dass der Mossad ihn aus dem Verkehr zog, weil er dem australischen Geheimdienst bei Reisen in die alte Heimat Einblicke in seine Arbeit für die Israelis gegeben haben könnte. All dies jedoch sind Erklärungen im Konjunktiv - und sie ranken sich noch recht lose um die einzige Tatsache, dass Zygier als "Gefangener X", dessen Namen nicht einmal seine Wärter wussten, in einer Zelle des Ajalon-Gefängnisses von Ramla landete.

Anwalt erlebte ihn als kampfbereiten Mann

Entgegen erster Berichte waren jedoch sowohl die australischen Behörden als auch seine Familie über die Inhaftierung informiert worden. Kurz vor seinem Tod empfing Zygier im Dezember 2010 den israelischen Anwalt Avigdor Feldman. Es soll um einen möglichen Handel mit der Staatsanwaltschaft gegangen sein, der auf eine Gefängnisstrafe zwischen 10 und 20 Jahren hinausgelaufen wäre.

Der Anwalt hat Zygier als kampfbereiten Mann in Erinnerung, der für den Beweis seiner Unschuld kämpfen wollte. Zwei Tage nach dem Besuch hing er tot in seiner von Kameras überwachten Zelle. Selbstmord - so lautete das Ergebnis einer internen Untersuchung, die erst vor wenigen Monaten abgeschlossen wurde. Zygier wurde 34 Jahre alt. Er starb vier Tage nach der Geburt seines zweiten Kindes.

© SZ vom 19.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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