Betreuung junger Straftäter im Ausland:Sibirien ist keine Lösung

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Die Intensiv-Betreuung jugendlicher Gewalttäter im Ausland kann pädagogisch zwar sinnvoll sein. Doch der Export von Gewalttätern in die Ferne ist gefährlich für alle Beteiligten.

Tanjev Schultz

Wenn gewalttätige Jugendliche ins Ausland geschickt werden, erregt dies immer wieder die Gemüter. Die unter dem missverständlichen Namen Erlebnispädagogik laufende Intensivbetreuung steht im Verdacht, schwere Jungs mit Kuschelpädagogik in exotischen Regionen zu belohnen.

Strassenszene in Sedelnikowo, Russland, wohin ein 16-Jähriger zur Besserung geschickt wurde. (Foto: Foto: AP)

So reden aber meist nur Leute, die in Unkenntnis der Haftbedingungen auch Gefängnisse für viel zu luxuriöse Herbergen halten. Von "Pädagogik unter Palmen" kann jedenfalls im aktuellen Fall keine Rede sein. Das Jugendamt in Gießen schickte einen 16-Jährigen, bei dem alle anderen Hilfen versagten, in die Kälte Sibiriens. Das karge Leben dort soll ihn Demut lehren.

Wenn ein Jugendlicher immer wieder aus Heimen türmt und sich allen anderen Angeboten verweigert, kann der harte Alltag in einer entlegenen Gegend pädagogisch durchaus etwas bewirken. Der Junge wird aus einem Milieu aus Kriminalität und Konsum gerissen, das ihn in Deutschland immer wieder eingeholt hat.

Er soll nicht mehr fliehen können, vor allem nicht vor sich selbst. Der Jugendliche muss der Unterbringung im Ausland wohlgemerkt zustimmen, und er wird dort auch nicht ganz allein gelassen, sondern dauerhaft betreut. Er wird also nicht einfach in die Fremde verschleppt, wie dies bei Ausländern der Fall ist, die aus Deutschland abgeschoben werden, ihre Wurzeln in der Heimat aber längst verloren haben.

Dennoch ist die Intensivpädagogik im Ausland riskant. Ihr langfristiger Nutzen ist bisher kaum untersucht worden. Wie gut gelingt es den Jugendlichen, sich zurechtzufinden, wenn sie nach Deutschlands zurückkehren? In der Einöde fehlen vielfältige soziale Kontakte, die Jugendlichen sind zurückgeworfen auf sich und ihren Betreuer.

Ist dies ein erfahrener Pädagoge, kann er Großes leisten. Doch die extremen Arbeitsbedingungen schrecken viele gute Kräfte ab. Sie locken windige Abenteurer an und Menschen, denen die Härte ihres Einsatzes erst bewusst wird, wenn es zu spät ist.

Vor vier Jahren tötete ein Jugendlicher seinen Betreuer in Griechenland, ein Jahr später war ein Zögling mehrere Wochen in Kirgisien nicht aufzufinden. Dies kann in Deutschland zwar genauso geschehen, aber hierzulande gibt es mehr Möglichkeiten, frühzeitig einzuschreiten und Hilfe zu mobilisieren.

Der Export von Gewalttätern in die Ferne ist gefährlich für alle Beteiligten. Für die Staaten, in denen die deutschen Problemkinder landen, ist es ohnehin eine Zumutung. (Was hielten wohl die Bürger in Brandenburg oder im Bayerischen Wald davon, wenn man ihnen sibirische Kriminelle ins Dorf setzte?)

Der Aufenthalt im Ausland ist aber auch für die Jugendlichen nicht ungefährlich. Sie sind schließlich mit einer anderen Rechtsordnung konfrontiert. Nicht nur wegen der weiten Entfernung ist Sibirien nicht der geeignete Ort, um einen deutschen Delinquenten auf den rechten Weg zu bringen. Es sollten sich doch auch in Deutschland Orte finden lassen, in denen die Jugendlichen lernen, ein karges Leben zu bewältigen und Struktur in ihren Alltag zu bringen.

Auf dem Markt der Erlebnispädagogik tummeln sich viele Anbieter, deren Seriosität auch den Jugendämtern nicht immer klar sein dürfte. Es wäre falsch, diesen Zweig der Jugendhilfe pauschal zu verdammen, doch es fehlt an Transparenz und Kontrolle. Das Mindeste, was man bei einer Unterbringung im Ausland verlangen muss, ist eine familiengerichtliche Prüfung und Genehmigung.

Für die Behörden kann die Auslandsbetreuung ein (zu) einfacher und finanziell vergleichsweise günstiger Weg sein, sich ihrer Problemfälle für eine Weile zu entledigen. Damit nähren sie fatalerweise auch jene in Deutschland verbreitete Rauswerfer-Mentalität, die Roland Koch in seinem Wahlkampf bedient: Wer stört, fliegt raus. Die Idee konsequenter Erziehung ist es, Grenzen zu setzen. Ihre Idee ist nicht, jemanden über die Grenze und außer Landes zu schaffen.

© SZ vom 18.01.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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