Weniger Kohlenhydrate!:Milliardenspiel mit Kalorien

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Spaghetti-Produzenten, Reisanbauer und Bäckereien leiden, weil ihre Produkte seit Diät-Papst Atkins als Dickmacher verpönt sind. Dafür steigt nun der Aktienwert der größten amerikanischen Eier-Fabrik.

Von Marc Hujer

Washington, im März - Man kennt von Dr. Robert Atkins nur die letzten Strahlefotos, auf denen der Diät-Guru im weiten Wollpulli posierte, schlank und fröhlich. Nichts deutete darauf hin, dass ihn sein Körper schon zwei Monate später im Stich lassen könnte, dass er sich aufblähen, im Koma dahinvegetieren, fahl und kalt würde.

Diat-Papst Atkins (Foto: Foto: AP)

Dr. Atkins, sagten die Ärzte vor einem Jahr nach seinem Tod, sei an seinen Kopfverletzungen gestorben, die er sich bei einem Sturz in New York zugezogen habe. Verschwiegen haben sie offenbar die verschlossenen Arterien, das attackengeschwächte Herz und das stolze Sterbegewicht des Doktors: 117 Kilo.

Es sollte ein Geschäftsgeheimnis bleiben. Doch dann gelangte vor einigen Wochen der Krankenhausbericht über den zweifelhaften Gesundheitszustand des Patienten Dr. Atkins ans Wall Street Journal, und der erfolgreichste Diät-Papst der Geschichte wurde als "Doktor Fatkins" verhöhnt.

Weg von den Kohlenhydraten

Dr. Atkins ist der Erfinder einer so genannten Low-Carb-Diät: weniger Kohlehydrate essen, um abzunehmen. Und 50 Millionen Amerikaner folgen ihm bis heute, unter ihnen Prominente wie Bill Clinton. Sie meiden Nudeln, Reis, Kartoffeln, Weißbrot und essen stattdessen pfundweise Eier, Fisch und Fleisch, dreifache Omeletts, Rinder- und Lachssteaks, morgens, mittags, abends. Statt low fat ist low carb angesagt.

Für die Financial Times war es "der schnellste Richtungswechsel im amerikanischen Essverhalten seit Jahrzehnten". Ein Drittel der US-Bürger ist fettleibig, fast eine halbe Million stirbt jedes Jahr an den Folgen.

Neues Lebensgefühl im Lande

Low-Carb-Diät-Bücher stehen ganz oben auf den Bestseller-Listen, ein Werk des Kardiologen Arthur Agatston über die neue South-BeachDiät, die dem Low-Carb-Boom im vorigen Jahr den entscheidenden Schub verlieh, verkaufte sich fünf Millionen mal. "Die Leute kennen heute die Zahl von Kohlehydraten in Lebensmitteln genau so gut wie ihre Sozialversicherungsnummer", sagt Brad Schultz, der in Kalifornien die neue Lebensmittelkette Pure Foods speziell für kohlehydratarme Kost aufmachte. Und das Lifestyle-Magazin LowCarb Living sieht in kohlehydratarmem Essen gar ein neues Lebensgefühl.

Neue Lebensmittelmarken im Angebot

Anfang Januar trafen sich Vertreter großer Lebensmittelkonzerne und Einzelhandelsketten zum Low-Carb-Gipfel in Denver. Für sie ist es ein neues 25-Milliarden-Dollar-Geschäft. Seit 1999, rechnet die Marktforschungsgruppe Mintel vor, wurden 728 neue kohlehydratarme Produkte auf den Markt gebracht, und immer schneller erneuern die Lebensmittelkonzerne ihre Programme.

Komplett neue Lebensmittelmarken wurden eingeführt, CarbFit und Adios Carbs, Low-Carb-Restaurants wurden eröffnet, das erste kohlehydratarme Bier Michelob Ultra gebraut, Low-Carb-Nudeln vermarktet, Low-Carb-Pizza, Low-Carb-Süßigkeiten. Walmart macht mit, ebenso McDonald's, Burger King und Wendy's.

Kohlenhydratreiche Wirtschaftszeige sind die Verlierer

Spaghetti-Produzenten leiden, ebenso Reisanbauer und Bäckereien, weil ihre Produkte als Dickmacher gelten. Die Aktie von Cal-Maine Foods Inc. dagegen, dem größten Eierproduzenten der USA, legte in einem Jahre um knapp 1500 Prozent zu, die Eierpreise verdoppelten sich. Büffelfleisch liegt im Trend. "40 Prozent der Konsumenten achtet heute auf Kohlehydrate in Lebensmitteln", sagt Michael Polk, Geschäftsführer beim Lebensmittelkonzern Unilever. Es gibt schon die erste Anti-Kohlehydrat-Lobby, das Carbohydrate Awareness Council, das die Interessen der Low-Carb-Industrie bündeln will.

Doch es gibt auch Widerstand. Die Zitrusanbauer geben 1,8 Millionen Dollar für eine Gegenkampagne zur Rettung des Fruchtsafts aus, der Kartoffel-Rat wirbt für die "gesunde Kartoffel", und Kimberly Park, Direktorin des amerikanischen Reisanbau-Verbandes, droht, sie werde verbreiten, dass Low-Carb-Diäter aus dem Mund stinken.

New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg lästerte jüngst bei einem Spaghetti-Essen der New Yorker Feuerwehr, er habe als Gast der Atkins' einmal das Essen vor Ekel "in die Serviette spucken müssen", und im Übrigen glaube er nicht "den Unsinn, dass Atkins einen Unfall gehabt haben soll". Als Atkins' Witwe davon erfuhr, verlangte sie eine Entschuldigung. Bloomberg erfüllte ihr den Wunsch und lud sie zu einem "Steak-Dinner" ein. "Ohne Kartoffeln, versteht sich." Frau Atkins verzichtete.

© SZ vom 25.03.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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