Weinrevolution:Abschied vom Korken

Lesezeit: 2 min

Mit dem Klimawandel kommt beim Wein der Schraubverschluss. Ästheten, Korkindustrie und sogar der Umweltverband WWF sehen den Trend mit Unbehagen - wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

Michael Frank

Es ist eine Zeitenwende, die sich dieser Tage bei Tisch zuträgt. Das satte Plopp, wenn der Korken aus dem Hals der Weinflasche fährt, weicht mehr und mehr metallischem Knirschen. Das entsteht, wenn man dem Wein gleichsam den Hals umdreht - mittels eines Schraubverschlusses.

Im bevorstehenden Weinherbst werden so viele Winzer wie nie zuvor dazu übergehen, bestimmte Sorten nur noch mit der "Schraube" zu verschließen. Ein Grund dafür ist der extrem frühe Beginn der Weinlese.

In den meisten Regionen der nördlichen Hemisphäre ist man längst mit der Rebschere im Weinberg, die Erntemaschinen tuckern über die Felder, um frühreife Sorten zu ernten. An kaum einer anderen Frucht lassen sich die Folgen der weltweiten Erwärmung besser ablesen als am Wein.

Seine Vegetationsphase hat sich vorverlegt und zugleich verkürzt: Die Blüte setzt früher ein, die Reben aber reifen angesichts extremer Warmphasen in Frühjahr und Sommer noch eiliger. Vielerorts in West- und Mitteleuropa sowie im mediterranen Raum müssen die Winzer bis zu vier Wochen vor der einst gewohnten Zeit zur Rebschere greifen.

Auch wenn insgesamt gute Qualität zu erwarten ist, führt der frühe Lesebeginn zu weniger körperreichen Tropfen mit zugleich differenziertem Säurekostüm. Dies aber wäre die Grundvoraussetzung für Wein, der schön altert.

Größere Mengen flüchtigerer Art hingegen wollen jugendlich genossen sein, es sind Kreszenzen, die bei längerer Lagerung an Harmonie einbüßen und plumpe Firnistöne entwickeln. Nur bei großen Weinen jedoch bringt Firnis ein delikates Plus.

Nüchtern kalkulieren nun Winzer und Weinwirtschaft: Warum für die eiligen Zechweine teuren und in guter Qualität durchaus raren Naturkorken vergeuden? Schraubverschlüsse - die wie die ästhetisch total verpönten Kronenkorken oft ein Naturkorkblatt als Dichtung haben, sodass der Wein nicht mit dem Metall der Kapsel in Berührung kommt - kosten zwischen fünf und 25 Cent, Naturkorken zwischen 15 Cent und einem Euro.

Zukunftsreiche Weine brauchen den Korken mit seinen Atmungseffekten als Garanten gemächlicher Reifung. Frisch zu trinkender Wein soll sich oft gar nicht weiter entwickeln, als durch den Lufteinschluss in der Flasche unvermeidlich.

Keine Garantie für guten Geschmack

Wozu dann Korken? Silikonstöpsel haben sich nicht bewährt, weil die noch unerforschten Reaktionsweisen von Wein und Kunststoff oft unvorteilhaft verlaufen. Die schicken, teuren Glasverschlüsse sind nur Show, denn die Dichtungssubstanz ist auch hier eine Silikonwulst.

Ästheten, Korkindustrie und sogar der Umweltverband WWF sehen den Trend zum Schrauben mit Unbehagen. Naturschützer fürchten, die alten Korkeichenkulturen in Portugal und Spanien seien gefährdet. Im Augenblick ist noch das Gegenteil der Fall: Unendlich viele Flaschen erweisen sich im Restaurant und beim Schmaus zu Haus wegen Korkgestanks als ungenießbar; sie sind der Beleg für große Probleme, die eine weltweite Übernachfrage nach diesem Naturprodukt bewirkt. Auch technische Bearbeitung der Korken hat den Verdruss nicht mindern können.

Eine Garantie für nur noch reinen Wein gibt der Schraubverschluss freilich nicht. Im Übrigen sollte der Gast im Lokal und auch zu Hause bei einem guten Roten niemals den Korken ploppen hören: Edle Tropfen sind lange vorher zu öffnen, damit sie atmen können. So mancher kennt die wahre Delikatesse seines Lieblingsweines gar nicht, weil er ihn überstürzt konsumiert.

© SZ vom 23.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: