Vierlingsgeburt durch 65-Jährige:Vier Mal "Hochrisiko"

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  • Die 65-jährige Annegret Raunigk hat vor einigen Tagen ihre Vierlinge zur Welt gebracht - 15 Wochen zu früh.
  • Die vier seien "zerbrechlich, aber süß", sagt der Chef der Klinik für Neonatologie, das Mädchen sei am fittesten, der größte Junge am schwächsten.
  • Doch noch keines der Babys habe die kritische Phase überstanden, sie seien "Hochrisiko-Patienten".

Von Verena Mayer, Berlin

Kritisch: Das ist das Wort, das man bei dieser Pressekonferenz an der Berliner Charité sehr oft hört. Am Dienstag vor einer Woche sind hier Vierlinge zur Welt gekommen, und sie wurden 15 Wochen zu früh geboren, mehr als drei Monate. Das allein wäre aus medizinischer Sicht schon eine kritische Situation; die Kinder sind winzig, keines von ihnen bringt ein Kilogramm auf die Waage. Doch da ist noch die Mutter: Eine 65-Jährige, die sich die Embryonen einpflanzen ließ, mit Ei- und Samenzellen von Spendern.

Mittwochmorgen im Krankenhaus Charité. Journalisten und Kamerateams drängeln sich um die behandelnden Ärzte, alle wollen Interviews. Der Fall hat weltweit für Aufsehen gesorgt, denn die Berlinerin Annegret Raunigk, eine demnächst pensionierte Lehrerin für Englisch und Russisch, ist zwar nicht die älteste Frau, die Kinder geboren hat. Aber sie ist die älteste Mutter von Vierlingen. Die allerdings sind auch nicht ihre einzigen Kinder: Die alleinerziehende Raunigk hat bereits 13, das letzte bekam sie mit 55 Jahren, damals noch auf natürlichem Weg.

Zwei der Babys können inzwischen selbständig atmen

Ihre vier jüngsten Babys nun sind drei Jungen und ein Mädchen, sie kamen per Kaiserschnitt zur Welt, nachdem bei Annegret Raunigk frühzeitig die Wehen eingesetzt hatten, sagt Wolfgang Henrich, der die Klinik für Geburtsmedizin leitet. Die Kinder wurden "im Minutentakt" geboren, in einem eigens angewärmten OP, und dann, gerade mal zwischen 655 und 960 Gramm schwer, auf die Intensivstation verlegt. Zwei von ihnen können inzwischen selbständig atmen, die beiden anderen sind an Geräte angeschlossen, alle bekommen Infusionen. Die vier seien "zerbrechlich, aber süß", sagt Christoph Bührer, Chef der Klinik für Neonatologie, das Mädchen sei am fittesten, der größte Junge am schwächsten.

Christoph Bührer, Chef der Klinik für Neonatologie (links), Wolfgang Henrich, Gynäkologie-Direktor an der Berliner Charité, bei der Pressekonferenz. (Foto: AP)

Und hier ist wieder das Wort "kritisch" angebracht. Denn noch keines der Babys habe die kritische Phase überstanden, heißt es. Die Kinder kamen selbst für Vierlinge zu früh, 29 Wochen dauert eine Vierlingsschwangerschaft durchschnittlich, in diesem Fall war es in der 26. Woche soweit. Sie seien "Hochrisiko-Patienten", sagt Bührer, "sie können sterben, sich schwere Krankheiten holen, Folgeschäden haben". Das Mädchen musste am Darm operiert werden. Von der späteren Entwicklung abgesehen: So früh geborene Kinder lernen später laufen und sprechen, 30 Prozent holen das bis zur Einschulung nicht auf.

Kritisch sind auch die Fragen, die diese Frühgeburt einer Spätgebärenden aufwirft. Denn Eizellspenden, wie sie Raunigk erhielt, sind in Deutschland verboten, Raunigk reiste dafür in die Ukraine. Und so viele Embryonen auf einmal zu verpflanzen, wäre in Deutschland ebenfalls illegal. Das Gesetz erlaubt höchstens drei, üblicherweise eingesetzt werden einer Frau bis zu zwei befruchtete Eizellen.

Zwar will sich Henrich nicht kritisch über seine Patientin äußern. "Ob eine 30-jährige oder ältere Schwangere zu uns kommt, ist unerheblich für die Kinder." Er hoffe aber, dass der Fall "die Reproduktionsmedizin aufrütteln und zum Nachdenken bringen" werde, um solche riskanten Mehrlingsschwangerschaften in Zukunft zu vermeiden. Es sei an der Politik, Frauen schon in jüngeren Jahren ihren Kinderwunsch zu ermöglichen, etwa durch "eine frauenfreundliche Arbeitswelt".

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Und die Mutter? Die spricht derzeit nicht selbst, zumindest nicht mit jedem. Annegret Raunigk hat einen Exklusivvertrag mit RTL abgeschlossen. Der Sender war schon die ganze Schwangerschaft, die bis zur 22. Woche relativ unkompliziert verlief, um sie herum. Begleitete Raunigk zum Ultraschall und interviewte sie nach der Geburt im Patientenzimmer. Derzeit sieht Raunigk regelmäßig nach ihren Babys, hält und streichelt sie. Die Ärzte sagen, sie sei "glücklich am Inkubator". Sogar eigene Muttermilch habe sie. Raunigk pumpt sie ab, die vier Babys bekommen sie per Magensonde.

Sie gehe davon aus, dass sie gesund und fit bleibe, hat Annegret Raunigk in einem Interview einmal gesagt. Sie brauche Aufgaben im Leben, schwanger wurde sie, weil sich ihre neunjährige Tochter ein Geschwisterchen gewünscht habe. Ob ihre Frühchen auch so gesund und fit sein werden, wie sie sich mit 65 Jahren fühlt, ist allerdings eine andere Frage.

© SZ vom 28.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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