Verbrennung des Anne-Frank-Tagebuchs:"Nur ein Missverständnis"

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In Magdeburg beginnt der Prozess gegen sieben Männer, die das "Tagebuch der Anne Frank" verbrannt haben. Der Angeklagte spricht von einem "Missverständnis".

Christiane Kohl

Manchmal verraten einzelne Worte mehr als lange Erklärungen. Es sei doch sowieso "alles Lüge", soll der Angeklagte Lars K. einem Ohrenzeugen zufolge ausgerufen haben, als er im Sommer 2006 im sachsen-anhaltinischen Dorf Pretzien das Tagebuch der Anne Frank ins Feuer warf.

Die Tat hatte bundesweit Entsetzen ausgelöst, an diesem Montag sitzt der 25-Jährige nun auf der Anklagebank im Gerichtssaal des Magdeburger Landgerichts und erklärt, dergleichen nie gesagt zu haben. Und wenn jemand die Äußerung bezeugen könne, will Amtsrichter Hans-Eike Bruns wissen - was dann? "Dann ist das eine Lüge", sagt Lars K. "Lüge?", fragt der Richter nach. "Lüge", wiederholt Jens K.

Der kaufmännische Angestellte steht seit Montag zusammen mit sechs anderen Angeklagten vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen Volksverhetzung vor, überdies hätten die jungen Männer, die zwischen 24 und 28 Jahre alt sind, die NS-Gewaltherrschaft verherrlicht und die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden während des Dritten Reiches verharmlost beziehungsweise geleugnet.

Im Sommer 2006 hatten die Männer eine sogenannte "Sonnenwendfeier" in dem östlich von Magdeburg gelegenen Pretzien organisiert. Dabei, so erklärte der Staatsanwalt jetzt in der Verhandlung, hätten sie "unter bewusster Auswahl symbolträchtiger Handlungen" die Feier gleichsam zu einer Demonstration der Volksverhetzung umfunktioniert.

Richter Bruns sitzt allein vor der holzgetäfelten Wand hinter der Richterempore im großen Saal des Landgerichts, Beisitzer gibt es nicht. Denn eigentlich ist dies eine Verhandlung des Amtsgerichts Schönebeck, einer Kleinstadt nahe Pretzien. Angesichts der Mengen von Journalisten aus dem In- und Ausland, die sich angemeldet hatten, wurde dem Richter aus Schönebeck jedoch ein Raum im Magdeburger Landgericht zur Verfügung gestellt.

Staatsanwalt Arnold Murra hält die Anklageschrift in einer beigefarbenen Mappe parat, die mit einem bedeutungsvollen roten Querbalken gekennzeichnet ist. Darin zeichnet er detailliert den Hergang jenes Abends nach, der das kleine Dorf Pretzien mit seinen rund 900 Einwohnern weit über die Bundesrepublik hinaus bekannt gemacht hatte.

"Flamme zum Himmel"

Von der sogenannten "Kulturkommission" des Ortes sei das Fest vorbereitet worden, einem der Initiatoren, der zum Festtermin in Urlaub fahren wollte, habe man in die Hand versprochen, ,,nix Politisches'' damit zu verbinden. Stattdessen hätten die Sieben, die sich im Heimatverein Ostelbien zusammengeschlossen hatten, den Abend jedoch gleichsam generalstabsmäßig geplant. Einige der Männer meldeten sich als Fackelträger, andere lernten Blut- und Bodensprüche auswendig, um sie später vorm Feuer zu verkünden.

Es waren Sätze wie "deutsche Jugend, deutsches Blut" oder "Flamme zum Himmel, leuchtende Glut". Mit ähnlichen Sprüchen, erläutert der Anklagevertreter später im Gericht, seien während der Nazizeit die Bücherverbrennungen vonstatten gegangen. "Wissen Sie das?" spricht er den Angeklagten Lars K. direkt an, doch der junge Mann weiß angeblich nichts davon, auch wenn er sich als "geschichtlich interessiert" ausgibt.

An die 70 Dorfbewohner standen an jenem Sommerabend um das Feuer hinterm Dorfkrug, als die Männer ihre Blut- und Bodensprüche herunterbeteten. Dann zog jemand eine Tüte hervor und warf sie ins Feuer - eine US-Flagge kam zum Vorschein. Danach war Lars K. mit seinem Auftritt dran. Er hielt das Buch mit dem Foto der Anne Frank auf dem Titelblatt erst in die Höhe und warf es dann ins Feuer.

Das ist unstrittig. Den Satz, dass "alles Lüge" sei aber dementiert Lars K. heute vehement. Auch dass die Männer zuvor mit dem Buch Fußball gespielt hätten, wie Augenzeugen berichteten, stellt der Angeklagte in Abrede. Er habe das Buch zuvor gar nicht dabei gehabt, sondern sich erst am Festort "ganz spontan" entschlossen, es zu verbrennen - weshalb Lars K. abends gegen 21 Uhr seine Freundin angerufen haben will, um sie zu bitten, das Taschenbuch zu der Feier mitzubringen. Zu Hause, behauptet Lars K., habe der Band "in einer Umzugskiste gelegen".

Keine Verharmlosung des Holocausts beabsichtigt

Keineswegs sei die Buchverbrennung auch in der Absicht geschehen, die Vernichtung der Juden zu verharmlosen, hatte K.s Anwalt Thomas Jauch zuvor erklärt - der Angeklagte habe sich vielmehr "befreien" wollen von diesem Teil der deutschen Geschichte, den er selbst als "böses Kapitel" betrachte. Mithin, schließt der Anwalt, sei alles nur ein Missverständnis: Lars K. tue es "wirklich und aufrichtig leid, dass er falsch verstanden worden ist".

Befreien? Missverständnis? Unter den Journalisten im Zuschauerraum kommt Unruhe auf. Thomas Heppener, der Direktor des Anne-Frank-Zentrums in Berlin, eigens zur Verhandlung angereist, wird später erklären, dass ihm "fast schlecht geworden" sei bei den Ausführungen des Anwalts.

Auch der Staatsanwalt scheint erbost. Missverständnis - das sei doch "sehr fadenscheinig", erklärt er. Doch Lars K. zuckt nur mit den Achseln. Als das Anne-Frank-Buch beim Sonnenwendfeier ins Feuer fiel, hatten sich viele Dorfbewohner erschrocken abgewandt. Darauf spielt der Richter an, als er den Angeklagten fragt, ob ihm dabei nichts aufgegangen sei. "Na ja", sagt Lars K., "ich dachte mir, jetzt wird's wohl schief gegangen sein." Bis Mitte März ist der Prozess terminiert, 17 Zeugen sind geladen.

© SZ vom 27.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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