Urteil im Sittensen-Prozess:Ein Ende nach 107 Verhandlungstagen

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Hohe Haftstrafen im Siebenfachmord von Sittensen: Nach mehr als zwei Jahren hat der Richter in "einem der schwersten Verbrechen der Nachkriegsgeschichte" das Urteil gefällt.

Richter Hans-Georg Kaemena sprach bei der Urteilsverkündung von einem der "schwersten Verbrechen der deutschen Nachkriegsgeschichte": Sieben Menschen mussten in der Nacht zum 5. Februar 2007 in dem China-Restaurant "Lin Yue" im niedersächsischen Sittensen sterben - für eine Beute von wenigen tausend Euro: Bargeld, zwei gebrauchte Laptops, mehrere Handys. Am Leben ließen die Täter nur das zu dem Zeitpunkt zweijährige Mädchen Tiana. Ihre Eltern, denen das Lokal gehörte, sowie fünf Beschäftigte wurden regelrecht hingerichtet.

Die Handschellen klicken: Zwei der fünf Vietnamesen, die in Stade vor Gericht standen, wurden zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. (Foto: Foto: ddp)

An diesem Dienstag nun ist nach insgesamt 107 Verhandlungstagen das Urteil gefällt worden. Gegen zwei der fünf Angeklagten wurden hohe Haftstrafen verhängt: Der Todesschütze sowie sein Komplize sollen lebenslang ins Gefängnis. Für den Schützen wurde zudem die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Die drei weiteren Angeklagten erhielten Haftstrafen zwischen vier und 14 Jahren.

Das Urteil war eigentlich am Vormittag erwartet worden. Doch die Verteidigung hat den Abschluss des Verfahrens erneut verzögert. Unter anderem beantragten die Anwälte des mutmaßlichen Todesschützen, einen weiteren Sachverständigen zu den Schmauchspuren zu hören.

"Für mich ist es eines der schrecklichsten Verbrechen, von denen man seit langer Zeit gehört hat", bilanzierte Staatsanwalt Johannes Kiers nüchtern in seinem Plädoyer. Und für ihn steht fest, der Gewaltexzess in dem Restaurant gegen das Inhaber-Ehepaar und seine Angestellten war nicht einfach ein Versehen, er wurde aus Habgier kaltblütig in Kauf genommen. In seinem fünfstündigen Plädoyer verwies Staatsanwalt Johannes Kiers im März auf Blut- und Faserspuren sowie auf Teilgeständnisse der Angeklagten.

Und er versuchte eine Erklärung zu finden für die Brutalität der Tat. Die aus Asien stammenden Opfer waren zum Teil mit Kabelbinder gefesselt und mit gezielten Kopfschüssen getötet worden.

Hinweise auf vorsätzlichen Mord

Bilder der Spurensicherung dokumentieren die Tat: Sie zeigen blutverschmierte Wände und Böden, gekrümmte Leichen in mehreren Räumen des Restaurants. Der Koch wird von sechs Kugeln, der Inhaber von zwei getroffen. Vier Angestellte und die Wirtin werden mit Kopfschüssen aus nächster Nähe getötet. Einige der Leichen sind gefesselt. Was genau in den wenigen Minuten passiert ist, wird wohl nie lückenlos geklärt werden können.

Mit Verweis auf Aussagen aus dem Mammutprozess schilderte Kiers die aus Sicht der Anklage entscheidende Szene: Vier der Angeklagten sind aus Bremen angereist, sitzen in ihrem Auto, während sie die Tat vorbereiten. Einer schraubt den Schalldämpfer auf seine Waffe, und die Männer sprechen sogar darüber, ob gleich Menschen sterben werden.

Für den Staatsanwalt ist das ein Hinweis auf vorsätzlichen Mord: "Eine solche Waffe mit Schalldämpfer ist kein Drohmittel, sondern ein Mordwerkzeug." Bei den Angeklagten handelt es sich um fünf Vietnamesen im Alter von 31 bis 43 Jahren, zwei Brüderpaare und eine ehemalige Aushilfskraft des Restaurants.

Staatsanwalt Kiers ist sich nach der Bewertung aller Indizien und Aussagen sicher, in dem 31-jährigen Phong D.C. den Todesschützen ausgemacht zu haben. Nach dem Willen der Staatsanwaltschaft soll er für mindestens 22 Jahre in Haft.

Dieser bestreitet keineswegs, wie auch seine Komplizen nicht, an dem Verbrechen beteiligt gewesen zu sein. Über seinen Anwalt Christian Rosse ließ er jedoch zu Protokoll geben, ihm sei vor dem Blutbad wegen des Konsums von Drogen und Alkohol schlecht geworden. Deshalb sei er in den Fluchtwagen zurückgekehrt. Sein Mandant habe immer bestritten, der Todesschütze zu sein und er könne nur für das verurteilt werden, was er auch gestanden habe, forderte Rosse daher in seinem Plädoyer.

Für den 35-jährigen Bruder Trong D.C., den Staatsanwalt Kiers als "Wortführer" bezeichnete, hatte er mindestens 18 Jahre Haft gefordert. Dieser habe vermutlich die Kabelbinder mitgebracht, mit denen die Opfer gefesselt wurden.

Verhandlungs-Marathon

Dass die Vietnamesen in Stade vor Gericht standen, ist dem Zufall geschuldet. Bei einer routinemäßigen Fahrzeugkontrolle 50 Kilometer von Sittensen entfernt am Nachmittag nach dem Blutbad fanden die Beamten erste Indizien im Auto von zweien der mutmaßlichen Täter.

Der erste Prozess von Mitte 2007 an scheiterte nach fünf Monaten, als die Richterin erkrankte. Trotz der absehbaren Länge des Verfahrens hatte das Gericht auf die Benennung eines Ersatzrichters verzichtet. Dieser wäre in solchen Fällen eingesprungen.

Somit musste im Januar 2008 das Verfahren unter dem Vorsitz von Richter Hans-Georg Kaemena von vorne beginnen. Unzählige Zeugenauftritte und Sachverständigenanhörungen mussten wiederholt werden. Die Anklageschrift umfasst mehr als 40.000 Seiten. Darüber hinaus hatten die zehn Verteidiger der Angeklagten über einen Marathon von inzwischen 106 Verhandlungstagen immer wieder neue Beweisanträge gestellt, um das Verfahren in die Länge zu ziehen.

In der vergangenen Woche dann die Überraschung: In ihrem Schlusswort drückten die Vietnamesen ihr Bedauern über das Blutbad aus. "Ich bereue zutiefst, was ich getan habe", sagte einer der Hauptangeklagten.

Dass mit dem Richterspruch nun der Dauerprozess zu Ende geht, ist nicht zu erwarten. Aus den Reihen der Verteidigung wurde bereits Revision angekündigt.

© AFP/dpa/AP/hai/gba - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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