Urteil gegen "Waldmenschen":Zuhause in den Pyrenäen

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Xavier Fortin lebte mit seinen beiden Kindern jahrelang in französischen Wäldern. Die Söhne behaupten, ihnen hätte nichts gefehlt. Ein Gericht sprach nun ein mildes Urteil.

Gerd Kröncke

Die beiden Jungen, mit ihren 17 und 18 Jahren fast schon junge Männer, lassen auf ihren Vater nichts kommen. Ihm verdanken sie alles, sie haben eine glückliche Kindheit verlebt.

Xavier Fortin (r.) verlässt das Gefängnis mit seinen Söhnen Shahi' Yena und, im Bild, Okwari. (Foto: Foto: Reuters)

Als am Dienstagabend ein mildes Urteil gegen Xavier Fortin gefällt wurde, da waren alle erleichtert. Die Jungen mit den geheimnisvollen Namen Okwari und Shahi Yena waren mehr als zehn Jahre von ihrem Vater versteckt worden, an immer neuen Orten und unter vielen Namen. Bis sie schließlich für einige Jahre am Rande eines Dorfes im Pyrenäen-Departement Ariège ein Zuhause fanden.

Ihr Daheim war ein abgelegenes, heruntergekommenes Gehöft im Wald, fern vom Trubel der Welt. Xavier Fortin wollte hier mit seinen entführten Söhnen zur Ruhe kommen. Nach der Trennung von seiner Gefährtin hatte er immer wieder Menschen gefunden, die mit dem Nötigsten aushalfen.

In der verlassenen Hütte gab es kein fließendes Wasser und keinen Strom. Als Xavier Fortin festgenommen wurde, war er für die Medien "der Waldmensch": die Fotos zeigten einen zotteligen Alt-Hippie, dessen Gesicht von einem dichten Bart zugewachsen war. Inzwischen ist er 52 Jahre alt, vor dem Gericht in Draguignan erschien ein gepflegter Mann, ungebrochen, ohne Reue.

Die Kinder haben in der Einsamkeit der Pyrenäen offenbar kein Martyrium durchgestanden. Aus der Perspektive der inzwischen fast Erwachsenen war das klandestine Leben der Kleinfamilie, das erst bei einer Routine-Überprüfung durch eine Behörde ein Ende fand, ein Traum von einer Kindheit. Angeblich hat ihnen nichts gefehlt, nicht einmal die Mutter. "Mir scheint, wir sind nicht allzu schlecht geraten," sagte Shahi Yena.

Jahrelang hatte die Mutter nach den verschollenen Söhnen geforscht, sie hatte sie zuletzt als Fünf- und Siebenjährige gesehen. Trotzdem nehmen die Jungen Partei für den Vater. Bei ihrer Mutter hätten sie immer nur das Kindermädchen gehabt, weil sie tagsüber arbeitete. Nein, sie bereuten nichts: beim Leben auf dem Lande seien sie des Morgens vom Vater, dem Biologielehrer, unterrichtet worden, nachmittags hätten sie sich den Tieren gewidmet. Sie verstünden sich auf Schweine und Kaninchen, könnten Ziegen melken und Käse machen: "Wir sind keine Asozialen." Selbst dass ihr Vater sie in dem Glauben ließ, die Mutter sei tot, haben sie ihm nicht übelgenommen.

Die unglückliche Mutter hat keine guten Karten. Sie ließ sich als Nebenklägerin von einem Anwalt vertreten, was ihnen die Söhne, auf den Alten fixiert, übelnehmen. Ihr half auch nicht, dass sie auf ihren Auftritt vor Gericht verzichtete, um eine Versöhnung zu ermöglichen. Das Urteil gegen Fortin: zwei Jahre, davon 22 Monate zur Bewährung. Wegen der abgesessenen Untersuchungshaft konnte er als freier Mann mit seinen Kindern von dannen ziehen.

© SZ vom 19.03.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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