Unwetter in Baden-Württemberg:Im Schlamm

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In Baden-Württemberg wüten die Unwetter am schlimmsten, vier Menschen sterben hier. Der kleine Ort Braunsbach wird von einer Lawine aus Geröll und Schutt erheblich beschädigt.

Von Max Hägler, Braunsbach/Gmünd

Der Bürgermeister war mittendrin - und kann es immer noch nicht fassen. "Im Fernsehen sieht man so etwas, aber dass so etwas bei uns passieren kann, das hätte ich nicht geglaubt", sagt Frank Harsch. In Gummistiefeln und mit einer Regenjacke bekleidet, steht der Kommunalpolitiker in seinem Ort Braunsbach, beziehungsweise was davon noch zu erkennen ist. Wahrscheinlich war es mal recht hübsch hier. Jetzt sieht es aus wie ein Erdbebengebiet, und es war auch eine Naturgewalt, die alles so zugerichtet hat: Regen, unglaublich viel Regen. Überall nun: Autos, zerdrückt wie nach schweren Verkehrsunfällen; sie hängen an Hauswänden oder sind aufgespießt an Laternenmasten. Ein Laserdrucker liegt im Schlamm, irgendwo herausgespült. Es riecht nach Öl. Wahrscheinlich hat es einige Tanks zerfetzt.

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(Foto: Bernd März/dpa)

In Eibenstock (Erzgebirge) werden Hagelkörner mit dem Bagger weggeschafft.

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(Foto: Sven Friebe/dpa)

In Schwäbisch Gmünd starben zwei Männer in dieser überfluteten Unterführung.

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(Foto: Marijan Murat/AFP)

Besonders verheerend waren die Zerstörungen in Braunsbach.

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(Foto: Marijan Murat/AP)

Die Rettungskräfte erfuhren schnell von dem Unwetter. Das Problem war: Die Straßen waren unpassierbar, ein Durchkommen unmöglich.

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(Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)

Die Freiwillige Feuerwehr rückte aus und wurde von der Lawine erfasst. Das Auto steckt in Schutt, Holz und anderem Unrat fest.

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(Foto: Marijan Murat/dpa)

Braunsbach gleicht einem Erdbebengebiet. Die kleinen Bäche des Ortes wuchsen in kürzester Zeit zu Flüssen und rissen Steine, Baumstämme und Autos mit sich.

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(Foto: Marijan Murat/dpa)

Am Sonntagabend gegen 20 Uhr rollte die Lawine aus Wasser, Geröll und Schlamm über den Ort.

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(Foto: Andreas Rosar/dpa)

Feuerwehr und Technisches Hilfswerk brauchten eine Stunde, bis sie sich den Weg gebahnt hatten.

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(Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)

Am Vormittag danach stehen Strömungsretter der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft bereit, falls jemand in die immer noch reißenden Fluten stürzen sollte.

Am Sonntagabend, ungefähr als die "Tagesschau" in den Wohnzimmern dieser Gemeinde im Nordosten von Baden-Württemberg lief, kam die braune Lawine aus Wasser, Schlamm und Geröll in den Ort. "Urplötzlich, innerhalb von Sekunden", sagt Harsch. Der Bürgermeister hatte im Rathaus zu tun, bereitete Unterlagen vor, da prasselte es ans Fenster. "Das war kein normaler Gewitterregen, das war schon heftig." An seinem Rathaus laufen zwei Bäche zusammen, kleine Rinnsale normalerweise. Doch gegen acht Uhr abends, als der Regen immer wüster an die Scheiben donnerte, wurden Flüsse daraus: Der Schlamm drückte sich von der Hangseite durch die Straßen, so gewaltig, dass er bald Autos vor sich herschob und zwei Häuser mitriss. Auch die Freiwillige Feuerwehr, die ausrückte, wurde erfasst von der Lawine. Ihr gerade noch nagelneuer Transportwagen wurde von einer zwei Meter hohen Masse aus Holz, Erde und Schutt zerdrückt. Immerhin: Die Feuerwehrleute schafften es aus ihrem Gefährt - und die Mobilfunkverbindungen blieben intakt. So bekamen die Rettungskräfte außerhalb des Ortes schnell mit, was da hereingebrochen war über Braunsbach. Ein unbeschreiblicher Lärm muss das gewesen sein, auf den Handys der Menschen kann man noch Videos davon sehen und hören. Das Problem war: Leute von außerhalb schafften es nicht ins enge Tal, die Straßen waren unpassierbar. Im Landratsamt Schwäbisch Hall und in der Leitstelle des Polizeipräsidiums Aalen versuchten sie Zufahrten zu koordinieren, Retter zu beordern, nach Braunsbach und in andere Orte, die von diesem gewaltigen Regen überflutet worden waren. Man war vorbereitet, der Wetterdienst hatte vor Unwettern gewarnt. Niemand hat jedoch kommen sehen, dass das Gewitter nach einer halben Stunde einfach wiederkommt und sich damit komplett in der Region entlädt, punktuell quasi. Eine Stunde brauchten Polizei, Feuerwehr und Technisches Hilfswerk, bis sie sich den Weg gebahnt hatten und dann mit der Rettung von 120 Menschen beginnen konnten, die in Gefahr waren. Vermisst wird in der 900-Einwohner-Gemeinde am Ende glücklicherweise niemand mehr. Jeder scheint überlebt zu haben.

SZ-Grafik (Foto: SZ-Grafik)

Anders 50 Kilometer weiter südlich, in Schwäbisch Gmünd. Zwar ist hier keine Lawine durch die Straßen gedonnert. Aber auch hier flossen Keller voll - auch die Unterführung am Bahnhof. Das Fazit: zwei Tote, darunter ein Feuerwehrmann. Mitten in der Stadt, in Sichtweite der futuristischen Hochschule, wo niemand Unheil durch die Natur vermuten würde, drückten sich die Regenfluten durch die Kanalisation, die Gullydeckel sprangen ab, wie Stadtsprecher Markus Herrmann berichtet. In eines der Löcher rutschte ein 21-jähriger Mann. Als die Feuerwehr eintraf, war er verschwunden. Einer aus der Freiwilligen Feuerwehr, 38 Jahre alt, begann die Suche, seine Kameraden hatten ihn angeseilt, wollten ihn halten in der Strömung. Doch sie schafften es nicht, offenbar riss das Seil. Der Retter verschwand im Wasser, in der Kanalisation unter der Stadt. Erst am frühen Montagnachmittag bergen Polizeitaucher die Leichen der Ertrunkenen. Als klar ist, dass alles Hoffen auf einen glücklichen Ausgang vorbei ist, da sammeln sich die Feuerwehrleute aus Gmünd in ihrer Wache und gedenken der Toten. An die Seitenspiegel ihrer Feuerwehrautos haben sie Trauerflor gebunden.

Genauso tragisch: Das Schicksal der 13 Jahre jungen Schülerin, die westlich von Schwäbisch Gmünd, in Schorndorf, auf dem Nachhauseweg unter einer Brücke Schutz vor dem Regen suchte und dabei von einem Intercity erfasst und getötet wurde. Ihr zwölfjähriger Begleiter blieb unverletzt. In Weißbach bei Heilbronn wiederum ertrank ein 62 Jahre alter Mann im Keller eines Mehrfamilienhauses. Allein in Baden-Württemberg rückten 7000 Helfer zu mehr als 2200 Einsätzen aus. Über 500 Menschen wurden in Sicherheit gebracht. Die großen Neckar-Zuflüsse führten drei- bis sechsmal so viel Wasser wie üblich. Die Schifffahrt wurde bis Mittwoch eingestellt, Bahnlinien, Straßen und Innenstädte gesperrt. Auch in Bayern richtete die Gewitterfront große Schäden an (siehe Text unten). Im thüringischen Ilmenau liefen mehr als 100 Keller voll, Rheinland-Pfalz und Hessen melden große Ernteschäden. Am Montag dann traf ein weiteres Gewitter Nordrhein-Westfalen. Autos blieben in den Regenfluten stecken, am Düsseldorfer Flughafen wurden 60 Starts und Landungen gestrichen. Durch einen Blitz wurde in einem Gymnasium in Bottrop Alarm ausgelöst, in Bochum die Notrufnummer drei Stunden lang lahmgelegt.

© SZ vom 31.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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