Ungewöhnlicher Beruf:Die Supernasen

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Lydia Möcklinghoff sagt, Ameisenbären seien "nicht die hellsten Kerzen auf der Torte". Aber sie darf das: Die Biologin aus Köln ist die Einzige weltweit, die das Verhalten und Leben dieser Tiere erforscht. Ein Treffen im Zoo.

Von Titus Arnu

Erbsenhirne. Zweidimensionale Pappaufsteller. Riesennasen. Wenn Lydia Möcklinghoff über Ameisenbären spricht, klingt das so, als mache sie sich in einer Tour über diese seltenen Tiere lustig. Aber wenn jemand Scherze über die langnasigen, buschigen Biester machen darf, dann sie. Möcklinghoff ist Ameisenbärenforscherin, und zwar die einzige weltweit: "Beim Berufe-Raten habe ich ziemlich gute Gewinnchancen."

Ameisenbären? Da fällt einem als Erstes die "Blaue Elise" aus der Zeichentrickserie "Der rosarote Panther" ein. Leider falsch, ein Übersetzungsfehler. Elise heißt im Original "Aardvark" und ist ein Erdferkel. Die fressen zwar auch Ameisen, wohnen aber in Afrika und sind nicht verwandt mit dem Großen Ameisenbär, der in Südamerika lebt. Nein, Ameisenbären sehen so aus wie Guapa und Javi im Gehege des Kölner Zoos: schäferhundartiger Rumpf, Rüsselnase, Knopfaugen, staubwedelförmiger Schwanz. Javi und Guapa flirten gerade heftig miteinander. Dabei ist viel Zunge im Spiel. "Na, seid ihr verliebt?" fragt Lydia Möcklinghoff. Dabei weiß sie genau, dass die Tiere kein Wort verstehen: "Das sind nicht die hellsten Kerzen auf der Torte."

"Erbsenhirnparalleluniversumsfor- schung" nennt Möcklinghoff ihr sehr spezielles Fachgebiet. Seit neun Jahren untersucht die Biologin das Verhalten von Myrmecophaga tridactyla, so heißt der Große Ameisenbär auf Latein. Drei Monate im Jahr lebt sie im Pantanal in Brasilien, dem größten Binnenfeuchtgebiet der Welt, um dort ihre Lieblingstiere zu beobachten. Den Rest der Zeit verbringt sie in Deutschland, sie arbeitet am Zoologischen Forschungsmuseum Koenig in Bonn und wohnt in Köln. Wenn Lydia Möcklinghoff über Feuchtgebiete spricht, ist das tausendmal interessanter und lustiger, als wenn Charlotte Roche das tut. Während ihrer Aufenthalte in dem 100 Quadratkilometer großen Studienfeld führt sie seit einigen Jahren Tagebuch; aus den launigen Aufzeichnungen ist nun ein ziemlich unterhaltsames Buch entstanden. Es trägt den etwas irreführenden Titel "Ich glaub, mein Puma pfeift." Trotzdem geht es vor allem um Ameisenbären.

Beim Treffen mit der 34-jährigen Forscherin im Ameisenbärenhaus des Kölner Zoos findet zunächst ein intensives gegenseitiges Abtasten und Beschnuppern statt - zwischen Menschen und Tieren. Die dünnen Schnauzen von Guapa und Javi schnorcheln durch Löcher in der Holzwand. Lydia Möcklinghoff öffnet einen Becher mit Joghurt und hält ihn mit etwas Abstand vor die Holzbarriere. Sofort schießt Javis graue Zunge in Richtung Becher. In der Schnauze des Ameisenbärs steckt ein bis zu 60 Zentimeter langer, klebriger Leck-Lappen, mit dem er ständig Insekten aufsammelt. Ameisenbären sehen aus wie haarige Staubsauger, und so benehmen sie sich auch: 30 000 Ameisen und Termiten fressen sie täglich. Ameisenbären sind übrigens keine Bären, sondern zählen wie die Faultiere zur Ordnung der Zahnarmen. Kauen müssen die Ameisenbären nicht, denn die Ameisen zersetzen sich in ihrem Magen durch die Säure selbst.

Wie kommt man auf die Idee, sein Leben nach diesen kuriosen Tieren auszurichten? "Zufall", sagt die Biologin. Beim Studium an der Würzburger Uni sah sie einen Aushang für ein Praktikum in Brasilien, Thema: "Ökologie des Ameisenbären". Eine Woche später saß sie im Flugzeug, auf dem Weg nach Boa Vista, einer Kleinstadt im Norden Brasiliens. Einen Tag nach ihrer Ankunft traf sie dort auf einer Akazienplantage ein Ameisenbärenweibchen mit ihrem Jungen auf dem Rücken - und war sofort verliebt.

"Zum Glück schmecken Ameisenbären so scheußlich, dass niemand sie jagen und essen will."

Bei ihrem Studienaufenthalt auf dem Gelände einer Holzplantage fand Möcklinghoff mithilfe von Fotofallen heraus, dass die Ameisenbären an den Stämmen hochklettern und dort Markierungen hinterlassen, als Zeichen für Artgenossen. Mittlerweile hat sie ihr Forschungsgebiet ins Naturparadies Pantanal verlegt, wo es trotz der zunehmenden Zersiedlung immer noch eine sehr große Artenvielfalt gibt. In den Nachbarstaaten Argentinien und Uruguay gilt der Große Ameisenbär schon als ausgestorben, auch in Brasilien ist die Art bedroht, weil immer mehr Wald zerstört wird. Doch im Pantanal sind die Lebensbedingungen für die Tiere noch ideal: Es gibt viele Ameisen, Schatten und Wasser. "Zum Glück schmecken Ameisenbären so scheußlich, dass niemand sie jagen und essen will", sagt Möcklinghoff. Das ist gut so, denn sonst wären die Tier e wohl längst ausgestorben: "Die sind so dumm und kurzsichtig, dass man sie im Prinzip einfach ernten könnte." Was nicht bedeutet, dass Ameisenbären völlig ungefährlich sind: "Wenn ein Jaguar gegen einen Ameisenbär kämpft, kann es gut sein, dass der Ameisenbär gewinnt", sagt Möcklinghoff. Die Krallen des Großen Ameisenbären sind scharf und lang.

Das Leben einer Ameisenbärenforscherin im Dschungel muss man sich als sehr rustikale Angelegenheit vorstellen. Im Spülkasten der Toilette quaken Frösche, manchmal rutscht man barfuß auf einer Fledermaus aus, und wenn nachts die Wasserbüffel im Vorgarten wühlen, kommt schon mal ein Cowboy im Schlafanzug auf die Veranda und schießt in die Luft. Seit neun Jahren lebt Lydia Möcklinghoff immer wieder ein paar Monate auf einer Ranch mitten in der Wildnis, und meistens kommt sie ganz gut damit zurecht. Sie weiß, wie man Tapire in Trance streichelt, und was man tut, wenn einen aggressive Wildschweine im Wald überraschen.

Ihr Einsatz könnte sich lohnen. Denn über Ameisenbären ist noch sehr vieles unbekannt. Es gab eine Studie aus den 1980er-Jahren zum Verhalten der Tiere, aber über Ameisenbärensex ist bislang relativ wenig ans Licht der Öffentlichkeit gedrungen. "Besonders farbenfroh ist sein Sozialverhalten nicht gerade", sagt Lydia Möcklinghoff. Wie und wo bewegen sie sich? Wie reagieren sie auf Hitze und auf Überschwemmungen während der Regenzeit? Um mehr herauszufinden, will die Kölnerin ihre Forschungsobjekte mit GPS-Sendern ausstatten. Bis die Daten ausgewertet sind, wird es wohl noch viele Jahre dauern.

Um Unterstützung für diese zeitaufwendigen Projekte zu bekommen, tritt Lydia Möcklinghoff öfter bei sogenannten Science-Slams auf, einer Mischung aus Comedy und populärwissenschaftlichem Kurzvortrag. Dabei kommt ein bisschen Geld für die Erbsenhirnparalleluniversumsforschung zusammen - auch wenn ein Ameisenbär als Sympathieträger nicht ganz so perfekt taugt wie ein plüschiger Panda. Falls die Forscherin zwischendurch mal Sehnsucht hat nach ihren haarigen Freunden, kann sie immer Guapa und Javi im Zoo besuchen. Wenn sie sich in Brasilien nach dem Rheinland sehnt, ist es ein bisschen schwieriger: "In Köln bin ich in einem Skatverein und spiele jeden Montag. Als Ausgleich habe ich verschiedene Ameisenbären nach meinen Skatfreunden benannt." Wenn Möcklinghoff durch den Dschungel schleicht, sind Heinz, Alfons und Günter stets dabei.

© SZ vom 26.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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