Umgang mit Hooligans:In der Rechtskurve

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Dynamo Schwerin integriert gewaltbereite Fußballfans, Kritiker halten das für naiv.

Arne Boecker

Zu Hause fühlen sich die Fans eigentlich nur im "Würfel". Tiefrot haben sie die Bude angestrichen, neben dem Eingang prangt ein riesiges D. Das steht für Dynamo Schwerin. Innen bedecken Schals, Plakate und Urkunden die komplette Wand.

In der Kritik: Mannschaftsbetreuer Torsten Born, Fanbeauftragter Ronny Sanne und Trainer und Vereinschef Manfred Radtke (von links) (Foto: Foto: Wiebke Marcinkowski)

"Mehr als 2000 Arbeitsstunden stecken hier drin", erklärt Manfred Radtke, der Stolz ist dem Versicherungsvertreter deutlich anzumerken. Radtke fungiert als Präsident und Trainer, kurz: Der Mann ist Dynamo.

"Wenn wir sonntags spielen, verbringen die Jungs den kompletten Tag im 'Würfel'", sagt Ronny Sanne, der sich im Auftrag des Vereins um die Fußballfans kümmert. Sanne ist genauso Dynamo wie Radtke. Das Dynamo-D hat er sich auf den rechten Unterarm tätowieren lassen.

Der "Würfel" steht an einem Sportplatz im bürgerlichen Wohngebiet Paulshöhe. Obwohl Dynamo Schwerin in der Landesliga West spielt, fünf Klassen unterhalb der Bundesliga, geistert der Verein oft durch die Schlagzeilen. Denn Dynamo schließt gewaltbereite Fans nicht aus, sondern versucht, sie in das Vereinsleben zu integrieren. Dynamo-Chef Manfred Radtke verkauft diese Linie als Konzept: "Wer im 'Würfel' Bier trinkt und Bratwurst isst, kann nicht randalieren."

Schön bürgerlich

In ganz Deutschland ist zu beobachten, dass Hooligans immer häufiger Dorfsportplätze heimsuchen. Auch Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) beklagt diese "Zunahme von Gewalt und Rassismus bis in die Bezirksklassen". Dynamo Schwerin könnte in Zukunft noch mehr Aufmerksamkeit erhalten. Dreimal in Folge ist der Verein aufgestiegen, nach dieser Saison hat er nun die Chance, mit seinen oft traurigen Schlagzeilen in die Verbandsliga vorzurücken.

Dynamo Schwerin ist ein Stück DDR, herübergerettet in die neue Zeit. 1953 gegründet, spielte der Verein meist in der 2. DDR-Liga. In den Wendewirren ging Dynamo in der Neugründung Eintracht Schwerin auf. Über Jahre plagte sich die Eintracht-Führung mit den Tätowierten und den Biertrinkern herum. "Die wollten uns nicht", sagt Ronny Sanne. "'Eintracht', das klingt schon so bürgerlich!", sagt Radtke und zieht ein Gesicht, als habe er auf eine Zitrone gebissen.

Vor fünf Jahren verließen beide Eintracht Schwerin und erfanden Dynamo neu. "Meine Familie geht seit mehreren Generationen auf die Paulshöhe", erzählt Mannschaftsbetreuer Torsten Born, "jetzt nehme ich meine Enkel mit." Und vor drei Jahren bastelten sich die Dynamos mit dem "Würfel" eine Heimat. Dort kultivieren sie den Ruf, unverstanden und allein gegen den Rest der Welt zu stehen. Im "Würfel" haben sie ihre Ruhe vor Experten für Rechtsextremismus, Fußballfunktionären und Journalisten, die ihr sogenanntes Integrations-Modell kritisieren.

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Fanblock "Alcatraz"

In einer Broschüre umschreibt Dynamo den Ansatz so: Man wolle "gewaltbereite und zum Teil rechtsextremistische Fans in gesellschaftliche Strukturen einbinden". Mehrere Dutzend von ihnen stehen bei Heimspielen in einem umzäunten Block direkt hinter einem der Tore. Der Zugang zum Dynamo-Block ist so organisiert, dass kein Kontakt zu Fans der Gastmannschaften möglich ist. "Das ist unser 'Alcatraz'", lacht Vereinsboss Radtke.

Fanprojekt-Leiter Ronny Sanne dient ihm als Beispiel für Resozialisierung à la Dynamo. 2002 verurteilte ihn das Landgericht Schwerin, weil er 1992 in Rostock-Lichtenhagen an den Attacken auf Vietnamesen beteiligt gewesen war, die weltweit Empörung ausgelöst hatten.

Mordversuch und Brandstiftung: Ein Jahr Haft auf Bewährung war das Urteil. Heute behauptet Sanne, abgeschlossen zu haben mit dem, was er nur kurzangebunden als "Neonazikram" bezeichnet. Dass andere Vereine den Spielen gegen Dynamo entgegenzittern, kann Ronny Sanne nicht verstehen. "Die Presse redet Lügen herbei, um die Stimmung anzuheizen", glaubt er. Aggressiv würden seine Jungs meist nur dann, wenn sie Alkohol getrunken hätten.

Wolfgang Remer, Präsident des Landessportbundes, beklagt dagegen, dass "Dynamo-Fans seit Jahren Angst und Schrecken" verbreiten. So stürmten sie im September vergangenen Jahres im westmecklenburgischen Hagenow das Spielfeld. Nach dem Eklat hatte die Dynamo-Spitze angekündigt, Stadionverbote zu verhängen. Heute hört sich das anders an. "Wie sollen wir die Verbote denn kontrollieren?", fragt Vereinsboss Radtke.

Dynamo Schwerin hat bis 2007 insgesamt 4800 Euro vom Präventionsrat des Landes erhalten. Innenminister Lorenz Caffier begrüßt den Ansatz des Vereins: "Dynamo Schwerin beweist, dass gezielte Förderung und fachliche Anleitung zur Eindämmung von Gewalt und Rassismus im Amateurfußball sinnvoll sind."

Die Pervertierung eines Gedankens

Das Geld hat Dynamo Schwerin aber nicht, wie vom Land vorgesehen, für einen Sozialarbeiter verwendet. Stattdessen wurde damit unter anderem der "Würfel" aufgehübscht. "Wir haben Dynamo Beratung angeboten", sagt Karl-Georg Ohse vom Regionalzentrum für demokratische Kultur Westmecklenburg, "sind aber auf taube Ohren gestoßen." Den Ansatz von Manfred Radtke, Gewalttäter integrieren zu wollen, hält Ohse für grundfalsch. "Es gibt zwar so etwas wie 'akzeptierende Sozialarbeit', aber was bei Dynamo passiert, ist eine Pervertierung dieses Gedankens." Die Schweriner Volkszeitung zieh Dynamo-Boss Radtke daher der Naivität. Ein Kommentator verglich ihn mit einem "Freizeit-Vati" für "ungezogene Jungs".

Am vergangenen Freitag trat Dynamo Schwerin zum entscheidenden Spiel um die Meisterschaft in der Landesliga beim TSV Bützow an und gewann 3:0. Eigentlich hatte das Spiel bereits am vorvergangenen Sonntag ausgetragen werden sollen.

Angesichts der Brisanz der Partie sah sich die Polizei jedoch außerstande, an einem Wochenende genug Beamte aufzubieten. Das Spiel wurde auf einem entlegenen Platz ausgetragen, so dass die Dynamo-Anhänger nicht durch Bützow laufen mussten. Obwohl die Polizei das Spiel mit einer Hundertschaft schützte, flogen kurz vor Spielende Steine und Flaschen. Zahlreiche Beamte und Fans wurden verletzt, Autos zerbeult; es gab Festnahmen.

© SZ vom 17.6.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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