Um der Sicherungsverwahrung zu entgehen:Sexualstraftäter lässt sich die Hoden entfernen

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Ein mehrfach vorbestrafter Kinderschänder hat seine Kastration selbst beantragt, um den eigenen Sexualtrieb einzudämmen - und damit einer Sicherungsverwahrung zu entkommen. Ärzte sehen das Verfahren als Mittel der Strafmilderung jedoch kritisch.

Stefan Mayr

Der Kinderschänder wurde im Streifenwagen vor das Ingolstädter Krankenhaus gefahren. Die Polizisten begleiteten ihn bis in den OP. Dort nahmen die Chirurgen eine sogenannte Orchiektomie vor - sie entfernten beide Hoden. Norbert G. hatte seine Kastration selbst beantragt, um seinen Sexualtrieb einzudämmen - und damit einer Sicherungsverwahrung zu entgehen.

Eine Woche nach der Operation, am Mittwoch, saß der 43-Jährige bereits zum dritten Mal auf der Anklagebank, weil er Kinder sexuell missbraucht hatte. Das Landgericht Ingolstadt hatte zu prüfen, wie lange der entmannte Wiederholungstäter ins Gefängnis muss, und ob er nach Verbüßung seiner Strafe noch einmal in Freiheit entlassen wird oder nicht.

Der gebürtige Ingolstädter war erstmals 1990 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Drei Jahre später vergriff er sich erneut an Minderjährigen, daraufhin musste er für 18Monate in Haft. Nach der Freilassung lebte G. zunächst unauffällig. Er fand sogar eine Partnerin und heiratete sie. Doch zwischen 2001 und 2005 verging er sich mehrmals an seinen beiden Stiefkindern. Insgesamt missbrauchte der Angeklagte sieben Buben und Mädchen, in einem Fall verging er sich schwer an einem Elfjährigen. Der Mann machte auch Nacktfotos der Kinder und zeigte ihnen kinderpornografische Bilder. Bei einer Durchsuchung der Wohnung fand die Polizei eine CD-Rom mit 600 Fotos und 23 Videos, die den Geschlechtsverkehr mit unter 14-Jährigen zeigten.

"Das ist Schicksal"

Vor Gericht gestand der Pädophile seine Taten vollumfänglich und entschuldigte sich auch bei seinen Opfern. Der psychologische Gutachter bescheinigte dem Triebtäter, dass sich dieser nicht nur wegen der drohenden Sicherungsverwahrung kastrieren habe lassen. Der Psychologe attestierte ein ehrlich gemeintes Interesse des Angeklagten, von seiner Veranlagung befreit zu werden.

Die freiwillige Kastration des Angeklagten ist kein Einzelfall. In den vergangenen drei Jahren haben drei Männer aus Bayern ihre Entmannung beantragt. Laut Gesetz muss jeder Antrag von der sogenannten "Gutachterstelle über die freiwillige Kastration und andere Behandlungsmethoden" bewilligt werden. Dieses Gremium ist an der Regierung von Oberbayern angesiedelt und setzt sich aus drei Fachmedizinern zusammen. Zwei der drei Gesuche wurden bewilligt.

Klaus Beier, der Leiter des Instituts für Sexualwissenschaft an der Charité in Berlin, lehnt die Kastration als Mittel zur Strafmilderung ab. "Eine derartige juristische Motivation ist nicht ausreichend", sagt er. "Es bedarf schon eines Betroffenen, der einsichtig ist und Verantwortung übernehmen will, das heißt, selber vollständige Impulskontrolle anstrebt."

Beier betont: "Die Kastration kann theoretisch durch die Einnahme von Sexualhormonen aufgehoben werden, was ja vor allem dann zu befürchten ist, wenn eine Fremdmotivation bestand." Zudem lege eine Person eine einmal erworbene sexuelle Präferenz bis ans Lebensende nicht mehr ab. "Das sucht man sich nicht aus", so Beier, "das ist Schicksal".

Das Landgericht Ingolstadt verurteilte den Kinderschänder zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten - ohne anschließende Sicherungsverwahrung.

© SZ vom 22. März 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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