Stierkampf:Streit am Nachmittag

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Spaniens Star-Stierkämpfer José Tomás ist in der Arena zurück. Seine Fans feiern ihn euphorisch - Gegner verdammen ihn. Der Kulturkampf tobt.

Javier Cáceres

Auf Schultern trugen sie ihn durch das große Tor der Stierkampf-Arena von Barcelona, wie sollte es auch anders sein. Fünf Jahre lang hatten sie kaum etwas sehnlicher herbeigewünscht als die Rückkehr des José Tomás, und nun, da es endlich so weit war, hatte er sie nicht enttäuscht. Zwei Stieren hatte er gegenübergestanden und diese mit der Anmut getötet, die ihn vor seiner Kunstpause ausgezeichnet hatte. "To-re-ro, to-re-ro, to-re-ro", skandierten seine Jünger in ekstatischer Verzückung, sie übertönten die Schmähungen und Pfiffe, die außerhalb der Mauern der Arena von Stierkampfgegnern gebrüllt wurden.

Auch in seinen Ohren werden sie sich vermengt haben, die Gesänge seiner Fans und die seiner größten Gegner; "asesino", Mörder, wehte es unüberhörbar von der anderen Straßenseite zur Arena hinüber. Doch es war seinem Lächeln anzusehen, dass es ihm ebenso einerlei war wie Cayetano, einem weiteren Stierkämpfer, der ebenfalls auf Schultern hinausgeführt wurde - hinaus aus der Arena in ein Meer aus Körpern und Händen, die sich ihnen entgegenreckten.

War das Dankbarkeit? Mit der Nostalgie ist es ja so eine Sache, ihr Gift nennt sich Verklärung. Und nun, da José Tomás endlich zurückgekehrt war, hatten sich seine Anhänger vergewissern können, dass die Erinnerung sie nicht trog, nie getrogen hatte, sie nie trügen wird. In ihren Augen ist José Tomás immer schon ein einzigartiger Meister gewesen und wird dies auch bleiben, jetzt und in Ewigkeit. Ein Torero. Sí, señor.

Nur die Toreros, die es vermögen, in der Arena zu sterben, schaffen es auch, unsterblich zu werden, heißt es. José Tomás Román Martín, wie der Matador aus Galapagar bei Madrid mit vollem Namen heißt, ist da eine Ausnahme, denn er steht in gleichem Maße über anderen Matadoren, wie er über dem eigenen Tod zu stehen scheint. So wie an diesem Sonntag von Barcelona.

Epochale, poetische Ruhe

Der erste Stier hatte ihn schon bald auf die Hörner genommen, ihn wütend und schnaubend durch die Arena gerollt, und auf den Tribünen den Zweifel gesät, ob der Körper des Stierkämpfers während seiner Abwesenheit von der Arena nicht doch etwas rostig geworden war.

Gewiss: José Tomás hatte in der Abgeschiedenheit der Provinz immer mal trainiert, auf Feldern, so wie früher, als ihm sein Großvater den Fußball aufschlitzte und ihn vor Bullen stellte. Aber das ist etwas anderes, als die gnadenlose Last von 19 500 Augenpaaren zu spüren.

Doch José Tomás, 31, stand nicht bloß wieder auf, sondern zeigte an dem ersten wie an dem zweiten Stier, dass er nichts von der stoischen Gleichgültigkeit eingebüßt hat, mit der er stets schon den 500 Kilo schweren Miura-Bullen begegnet war. Er führte diese eisige Indifferenz im Herannahen ans heiße Blut des Stieres vor, die so leise wirkt und konzentriert, dass man meint, er flüchte an einen imaginären Ort der Stille, um den Stier aus tiefster Seele heraus zu besiegen. Mit epochaler, poetischer Ruhe, die nur durchbrochen wird von den Olés auf den Rängen.

Dieser Stille hatten sie beiwohnen wollen. Nichts anderem. Deshalb brachten die Zuschauer auch die Blaskapelle zum Schweigen, obwohl es in Barcelona eigentlich üblich ist, die Bewegungen des Toreros und der Stiere mit herzzerreißenden "Pasodobles" zu unterlegen, als sei der Kampf mit dem Tod ein Tanz: "Shhht", zischte das Publikum, die Macht der Stille einfordernd. Diese Einkehr war es ja auch, die José Tomás zum Liebling der spanischen Intelligenzija gemacht hat; zur Muse von Schriftstellern, Philosophen, Musikern und Malern vom Schlage eines Miquel Barceló, dem es eine Ehre war, das Plakat zu zeichnen.

Und diese Aura war es auch, die José Tomás' Rückkehr in den blutgetränkten, zimtfarbenen Sand zu einem Kulturereignis machte - und ihn selbst zur Verkörperung eines erbittert geführten Kulturkampfs.

Professor, Tod und Thesen

Sein Comeback war symbolträchtig und wohlinszeniert, und Barcelona wurde nicht von ungefähr als Bühne ausgesucht.

Die Verständigen sagen zwar, dass der Stil von José Tomás nirgends besser gewürdigt worden ist als in der Monumental-Arena. Doch dass er ausgerechnet diese als Bühne für seine Rückkehr wählte, lag in erster Linie daran, dass der Stierkampf nirgends in Spanien heftiger ums Überleben kämpft als hier.

Die Krise ist allenthalben spürbar, seit Jahrzehnten schon; und die Erscheinung von José Tomás wurde von den Traditionalisten Ende der Neunziger vor allem deshalb gefeiert, weil sie in ihm und seinem ernsthaften Stil das beste Gegenmittel für die zunehmende Entwürdigung des Spektakels sahen. Stiere wurden in die Arenen gejagt, die den Namen kaum verdienten; an ihnen arbeiteten sich Matadore ab, die interessierter daran zu sein schienen, in den Klatschspalten zu stehen als im Angesicht des Todes. Auch in Madrid und Sevilla gingen darob die Zuschauerzahlen zurück, doch Barcelona darbte mehr als andere Stierkampfstätten. 24 000 Euro hat der Betreiber zuletzt pro "corrida" verloren, am Sonntag war die Arena zum ersten Mal seit 1985 restlos ausverkauft.

"To-re-ro!" - "Mörder!": Der Auftritt von José Tomás in Barcelona hat in Spanien den Kulturkrieg um den Stierkampf heftig entzündet. (Foto: Foto: AFP)

2004 wurde Barcelona überdies symbolisch zur "Anti-Stierkampf-Stadt" erklärt. Gemessen an der Geschichte der Stadt mutete dies zwar albern an, weil keine andere Metropole der iberischen Halbinsel außer Barcelona je drei Stierkampfarenen gleichzeitig hat unterhalten können. Dem Zeitgeist aber entsprach dies allemal.

Die Stierkampfgegner, so schrieb der Philosophie-Professor Víctor Gómez Pín in der liberalen Zeitung La Vanguardia, würden "ihr Alibi in einer philosophischen Haltung finden, die das ultimative Ziel einer legitimen Ethik weniger in der materiellen und geistigen Würde des Menschen sieht, als in der universellen Befreiung aller beseelten Wesen, zu denen der Mensch in hierarchischer Beziehung steht".

"Geht euch waschen, ihr Schlampen"

Daran, dass "diese neue Religion" triumphieren und schließlich "zum Tod des Stierkampfes führen" wird, daran besteht laut Gómez kein Zweifel, und er bedauert dies: Als Anhänger der These, dass der Stierkampf die ritualisierte Inszenierung des Kampfs des Menschen gegen das Tier darstellt, und nicht, wie dessen Gegner meinen, eine brutale Qual. 3000 Menschen und mindestens einige Dutzend Hunde waren es wohl, die sich am Sonntagabend unter der Kolumbusstatue zu einer Demonstration gegen den Stierkampf zusammenfanden; es waren dies weit mehr Teilnehmer als bei einer gleichzeitig stattfindenden Demonstration gegen Übergriffe der Polizei auf Menschen. Stierkampf? Das ist, in ihrer Definition, "das Böse" und "die Niedertracht" schlechthin, "die letzte Hürde zur Zivilisation", mitunter auch ein "unkatalanisches" Spektakel.

Als sich Befürworter und Gegner - die einen auf der einen Seite, die anderen auf der anderen Seite der Straße Marina - nur von einem Polizeikordon getrennt einander in die Augen blickten, standen sie sich in disparaten Schmähungen in nichts nach. "Faschisten" brüllten die Gegner des blutrünstigen Spektakels, und warfen CDs von Joan Manuel Serrat in den Boden, der einst gegen Diktaturen in Spanien und anderswo angesungen hatte, nun aber einer der "Psychopathen" ist, die in die Arena gehen.

"Geht euch waschen und arbeiten, ihr Schlampen!", riefen die sichtlich dem Großbürgertum angehörenden Anhänger des Stierkampfes zurück, denn jene, die José Tomás "Mörder" riefen, hatten sich den Körper mit roter Farbe bestrichen. Rot wie das Blut, das in der Arena versickerte, und rot wie das Blut, das auch den kostbar bestickten, pfauenblauen Anzug des Toreros verunreinigte, wenn der Stier an ihm vorüberzog und ihn berührte.

© SZ vom 19.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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