Stenographie-Weltmeister:Keiner schreibt schneller

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Champion in der Richterrobe: Der aus Landshut stammende Bernhard Gremmer sieht schwarz für die Zukunft der Kurzschrift.

Rolf Thym

Bernhard Gremmers Karriere zum Weltmeister in der rasanten Niederlegung von Texten begann vor gut dreieinhalb Jahrzehnten am Landshuter Hans-Carossa-Gymnasium mit einem Motivationsproblem.

"Mittlerweile dramatische Lage": Steno-Weltmeister Bernhard Gremmer. (Foto: Foto: dpa)

Damals wollte er nach kurzer Teilnahme am Wahlfach Stenographie das Erlernen der Kurzschrift gleich wieder drangeben, "weil es zu spröde war".

Aus grundsätzlichen erzieherischen Gründen aber hielten die Eltern ihren Sprössling dazu an, gefälligst weiter möglichst viele Silben pro Minute zu Blatt zu bringen - mit dem hübschen Ergebnis, dass Bernhard Gremmer, inzwischen 52 Jahre alt und Richter an einem Bausenat des Oberlandesgerichts München, beim diesjährigen Wettbewerb des Intersteno-Kongresses in Wien zum zweiten Mal Weltmeister und Vizeweltmeister geworden ist.

1998 war er in der Weltausscheidung Zweitplatzierter im muttersprachlichen Schnellschreiben geworden, 2001 Weltmeister im mehrsprachigen Wettbewerb. Dazu ist er viermaliger deutscher Meister, "unzählige Male", sagt er, wurde er bayerischer Meister, auch Weltjugendmeister war er schon.

Als in Wien die diesjährige Weltmeisterschaft ausgetragen wurde, geriet Gremmer erst einmal in eine kurz anhaltende Krise. Im deutschsprachigen Schnellschreib-Wettbewerb - bei dem ein aus dem Englischen übersetzter Text von einem so genannten Ansager vorgelesen wurde - ging es um eine Erläuterung der EU-Fischereipolitik, mit allerlei Begriffen, die in der Stenographie keine standardisierten Kürzel haben: Kabeljau, zum Beispiel.

Der Könner behilft sich in diesem Fall mit der Kürzung "Kab" und macht einen Punkt darunter, der für "u" oder "au" steht - letztlich bedeutet die als Gedächtnisstütze dienende Hilfskonstruktion also "Kabu" oder "Kabau".

Solcherlei Hürden, sagt Gremmer im Nachhinein, "sind natürlich tödlich für die Wettschreiber", denen dann auch noch der eine oder andere weitere Nerv geraubt wurde mit der stenogerechten Umsetzung von "Stockfisch" und "engmaschigen Netzen".

Und dennoch: Gremmer hielt sich äußerst wacker, auch beim mehrsprachigen Wettbewerb, in dem in jeweils dreiminütigen Diktaten Texte auf Englisch, Spanisch, Italienisch, Französisch, Niederländisch, Portugiesisch, Latein und Interlingua, einer dem Esperanto verwandten Kunstsprache, diktiert wurden.

Gremmer glaubte nicht so recht daran, dass er Sieger werden könne. So reiste er vorzeitig ab und erfuhr erst daheim per Telefon, dass er im muttersprachlichen Wettbewerb Weltmeister geworden war und im mehrsprachigen Vize-Weltmeister.

Die mit der Stenographie eher nicht so eng verhaftete Öffentlichkeit hätte übrigens beinahe nichts erfahren vom bayerischen Kurzschrift-Weltmeister. Der Wettbewerb war bereits im Juli. Und weil Gremmer jeglichen Rummel scheut, blieb es dem Landshuter Stenographenverein - dessen Mitglied Gremmer seit dem 16. Lebensjahr ist - überlassen, den Sieger unlängst in einer Feierstunde zu präsentieren.

So fiel dann doch noch das Licht der Bekanntheit auf den weltmeisterlich Steno schreibenden Richter, der die Zukunft der Kurzschrift allerdings nicht gerade rosig sieht. Obwohl allerorten in Bayern Straßen nach Franz-Xaver Gabelsberger benannt sind, den Mitte des 19. Jahrhunderts wirkenden Begründer der modernen Stenographie, ist "die Lage mittlerweile dramatisch" findet der amtierende Weltmeister.

Das Beherrschen der Kurzschrift werde in kaum einem Beruf mehr verlangt. Gremmer jedenfalls kennt "niemanden mehr, der in den Stenoblock diktiert". In den Büros spricht der Chef ins digitale Diktiergerät, die Sekretärin schreibt alles gleich in den Computer.

Unmittelbar vor dem Untergang steht die Kurzschrift in Bayern wohl dennoch nicht: Die 20 Stenographenvereine im Freistaat haben immerhin noch 2000 Mitglieder. Gremmer schätzt zudem, dass gut zwei Prozent der zwölf Millionen Bayern ihre Steno-Fähigkeiten regelmäßig anwenden.

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