Sprechblasen:Was für eine Affenhitze

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Ein Hulman-Lagur-Jungtier trotz der Hitze in Hannover. (Foto: dpa)

Ist dieser Sommer nicht die Hölle? Warum muss nur jeder eine Meinung dazu haben? Über ein strapaziertes Smalltalk-Thema und sein zunehmend merkwürdiges Vokabular.

Von Martin Wittmann

Und Gott blickte hinab auf die Menschlein, und er sah ihre Pein. In quälender Stille standen sie dort unten zusammen, vor Aufzügen und in Kassenschlangen, einig in der Unfähigkeit, ein leichtes Gespräch zu führen oder ihm wenigstens nickend zu folgen. Die Jünger stummten einander an, viele zogen sich zurück aus Angst vor der gegenseitigen Sprachlosigkeit. Am Bahnsteig versteckten sie sich voreinander hinter Ticketautomaten. Ein Volk in der Smalltalk-Krise.

Gott hatte ihnen zwar längst Griechenland als Thema geschickt, aber das Geschenk war (natürlich) ein trojanisches Pferd, weil sich nun lediglich die einfachsten unter den Jüngern anschickten, ein so kompliziertes Thema auf drei schnelle Sätze zu reduzieren. Gott erinnerte sich also an das wunderbar redselige Vorjahr und schickte eine weitere Fußball-WM, aber auch das funktionierte nicht, weil Frauen. Schließlich erinnerte er sich des Winters, dessen verlässlich wiederkehrende Kälte die Leute jedes Jahr aufs Neue verblüffte und damit erfolgreich zum Gespräch drängte. So schickte er nun: die Hölle.

Zu gaga? Geht doch eigentlich gar nicht mehr in diesem allgemeinen Ausnahmezustand formerly known as Sommer, der die Deutschen geradezu verrückt macht. Werden normalerweise die Tage gezählt, bis das Wetter wieder besser (ergo: wärmer) wird, geben die Meteorologen heute Prognosen ab, wie lange es wohl dauern wird, bis das Wetter endlich wieder besser (ergo: kühler) wird. Und die Leute sprechen über nichts anderes mehr als die Hitze; die meisten von ihnen jammern.

Wenn sie könnten, würden die Deutschen nicht in, sondern auf der Sonne Urlaub machen

Die Deutschen, das sind übrigens jenes fernreisende Volk, das lieber als in der Sonne nur auf der Sonne Urlaub machen würde. Aber wehe, wenn es daheim mal wärmer wird. Fakt ist: Es ist recht heiß, und womöglich ist es sogar heißer als in manch anderen Sommern. Und sicher steht sommers generell weniger zur kleinen Debatte als in anderen, ereignisreicheren Jahreszeiten. Aber das erklärt nicht die gegenwärtige Manie, mit der sich die Menschen diskursiv an der Hitze festklammern.

"Puh, so heiß schon am Morgen; Wahnsinn, wie in der Sahara; das Schwimmbad, so was von voll; schon wieder ein ICE ausgefallen wegen der Hitze; mein Gott, wie ich klebe, nimmer normal; aber heut soll's noch gewittern, heißt es; ich komm mit dem Gießen/Trinken gar nicht mehr nach; warme Getränke sollen ja angeblich hilfreicher sein als kalte, schon irre; am Starnberger See gibt's kein Trinkwasser mehr, da ist eine Pumpe ausgefallen; morgen soll's aber endlich kühler werden; die ganze Sonnencremesoße im Weiher, pfui Teufel; puh, so heiß noch am Abend."

Als hätten die Leute keine anderen Sorgen! Aber das ist es ja: Andere Sorgen gibt es genug (gut, außer am Starnberger See vielleicht). Nur kann man die schwerlich in aller Kürze im Treppenhaus bereden. Entweder, weil sie individuell und damit nicht übertragbar sind ("Uff, das Knie zwickt schon wieder. Kennen Sie das?" "Nö." "Okay, bis dann."). Oder, weil die Probleme zwar jedermann kennt, aber niemand persönlich betroffen ist. Der IS, Ukraine, Boko Haram, BND, Wimbledon oder eben Griechenland: weit weg und schwer verdaulich, noch dazu Gebiete, auf denen man sich tatsächlich leicht blamieren kann in der Kurzanalyse. Dann lieber hinterm Ticketautomaten kauern.

Neuer Rekord in Kitzingen?

So klingt in der gegenwärtigen Thematisierung der argen, aber nicht wirklich bösen Hitze ein erleichterter Eskapismus durch, eine ersehnte Konsenssicherheit: Wir alle schwitzen gleich, wir alle dürfen mit gutem Grund jammern, wir sind alle Experten unseres Schwitzens. Oder, um zum nächsten Symptom des Hitze-Irrsinns zu kommen: Wir sind Schwitze.

Den Medien dient der Sommer gerade als Möglichkeit, jenes Ulkpotenzial abzurufen, das sich bei den angesprochenen ernsten Problemzonen verbietet. So sind die profanen Wetter-News nicht nur eine willkommene thematische Ablenkung von den zeitgemäßen Katastrophenberichten, die Satire-Website Der Postillon titelte da recht passend: "NSA spähte deutsche Ministeri- argh, diese verdammte Drecks-Hitze!". Auch kommt die Hitze semantisch gerade recht: Hitze-Schwitze-Blitze-Witze zum Dahinschmelzen. Neuer Rekord in Kitzingen (40,3 Grad)? Dann heißt der Ort nun, alle Glutbürger mitsingen: Hitzingen!

Wer Futter braucht für noch mehr Small-Talk, wird reichlich bedient. Die Agenturen stellen ABCs zusammen ("Apfelschorle bis Zugluft") und beantworten nie gestellte Service-Fragen ("Unerträgliche Hitze kann Mietminderung rechtfertigen"). Allerorten sind Luftbilder von überfüllten Schwimmbädern zu sehen, wie von Gursky gemacht. Und im Radio warnen sie andauernd vorm "Blow-up", meistens mit der ziemlich pikierten Betonung des Begriffs, wie sie nur Anglizismen- oder Antonioni-Gegner pflegen.

Die entscheidende Frage ist nun: Lohnt sich der Sommer bei all der Hirnverbranntheit überhaupt noch? Wären Gott und die Welt nicht besser dran ohne seine schlechten Witze und seinen öden Smalltalk? Und würde diese Welt nicht viel besser riechen? Zum Teufel mit der Hölle.

© SZ vom 08.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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