Spanische Nationalhymne:Oje, ojeojeoje!

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Die bisher textfreie spanische Nationalhymne ist mit Lyrik ausgestattet worden - das Ergebnis ist ein Fiasko. Placido Domingo wird sich wohl lächerlich machen, wenn er sie wie geplant singen müsste.

Javier Cáceres

Mit den Mänteln der Geschichte ist das so eine Sache, manchmal wäre es besser, sie wären doch bloß Mäntel des Schweigens. Geschneidert, um Unsägliches zu verhüllen, statt die Menschen zu bedrängen, auf Teufel komm raus in die Historie eingehen zu wollen.

"La-la-la war besser" - die öffentliche Meinung über den neuen Text für die spanische Hymne ist eindeutig. (Foto: Foto: SZ Grafik)

Nur so konnte es sich begeben, dass sich neulich wieder einmal eine Handvoll Spanier rund um den Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees (COE), Alejandro Blanco, berufen fühlten, einen Wettbewerb einzuberufen, um die nominell textfreie Nationalhymne ihres Landes mit Lyrik zu versehen.

Mit echter Lyrik, um genau zu sein. Denn die Textoptionen, die bislang vor Fußball-Länderspielen in den Stadien zur Melodie der Marcha Real, dem Königsmarsch, geschmettert werden und mit den eingängigen Liedzeilen "La-la-la-la" oder auch "Chunda-Chunda" beginnen, gelten nach herrschender Lehre weder als ausreichend poetisch noch als konsensfähig.

Schon einmal hatte es einen Poesie-Wettstreit zur Ausstattung der Hymne mit Text gegeben, zu Zeiten eines gewissen General Prim war das, in der zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts. Doch im Lichte der mangelnden Qualität der Einsendungen entschieden die Juroren, den Preis als vakant zu deklarieren und die Hymne ohne Text zu belassen.

Naiv, ranzig, debil

Doch anstatt dem historischen Vorbild von annodazumal zu folgen, wählten die Juroren tatsächlich einen Text aus 7000 Vorschlägen aus, damit die Sportler auf den Siegertreppchen etwas zu singen haben wie die Franzosen, Engländer und Deutsche. Die Fragen, die sich die überwiegende Mehrheit der Spanier in für hiesige Verhältnisse fast schon rührender Einigkeit stellen, ist: Wie schlecht müssen die anderen gewesen sein? Was für Stimmen haben die Initiatoren nur gehört? Und sollte man nicht langsam auch Dopingtests für olympische Funktionäre einführen?

Die Kommentare der spanischen Medien lesen sich wie eine Abschrift aus dem Lexikon für abqualifizierende Adjektive, von "infantil" über "naiv" bis hin zu "debil" und "trottelig" ist alles dabei. Kurioserweise ist das umfangreichste Kompendium der Abwertungen im Mitteilungsorgan El Mundo zu finden, denn dieses Madrider Blatt hatte die Idee des obersten spanischen Olympiers medial am heftigsten flankiert.

Der Textvorschlag sei, hieß es in El Mundo, "der Form nach einfältig und plump, dem Inhalt nach veraltert und gekünstelt, den Konnotationen nach ranzig und fern", und die Sportzeitung Marca, die der gleichen Mediengruppe angehört, diagnostizierte "eine Totgeburt".

Wenn man die bestenfalls zurückhaltenden Reaktionen aus der Politik studiert, muss man das wohl so sehen. Denn ob es noch sinnvoll ist, das Parlament im Wege einer Bürgerpetition zu belästigen, um die vier Strophen durch das Parlament als offizielle Hymne anerkennen zu lassen, dürfte zu bezweifeln sein.

Die Regierung erklärte, dass dies nur dann sinnvoll sei, wenn es einen breiten Konsens für den Hymnentext gebe. Von den baskischen Nationalisten war überhaupt kein Kommentar zu hören, die katalanischen Separatisten erklärten, sie hätten ihre eigene Hymne (mit Text), die spanische Hymne sei spanische Cerveza und nicht ihres.

Der Postkommunist Gaspar Llamazares wiederum fühlte sich an die in der Tat ähnlich strukturierten Zeilen erinnert, die einst der Poet José María Pemán auf die Hymne gemünzt hatte und dann den Kindern zu Zeiten der Franquisten von den Faschisten eingebläut wurde. Und so blieb die Zustimmung auf nur wenige befürwortende Stimmen aus dem Kreis der konservativen Volkspartei beschräkt. Der Rest des Landes drängt Olympier Blanco, die ursprünglich für den 21. Januar vorgesehene, feierliche Vorstellung der Hymne durch Plácido Domingo abzusagen. Er dürfe jetzt nicht auch noch den besten Tenor Spaniens lächerlich machen. Es reiche, wenn er sich selbst dem Spott preisgebe.

Auch Männer vom Fach äußerten sich. So sprach der unlängst mit dem spanischen Cervantes-Preis ausgezeichnete Dichter Antonio Gamoneda völlig ironiefrei von einem "Text voller guter Absichten", und urteilte in einer Express-Exegese, dass dessen "Zeilen mehrheitlich auf Klischees, der Schlichtheit und einfachen Abstraktion" beruhten und "an eine gleichfalls schlichte Bevölkerung gerichtet" seien.

All das müsse einer breiten Akzeptanz gar nicht entgegenstehen, fand Gamoneda , denn "die klebrige Beschaffenheit des Klischees als solchem und der konventionelle Charakter des Textes insgesamt" könne auch Erfolg bedingen. Der Philologe José Antonio Millán wiederum mimte den Pedanten und vermisste ein Verb in der zweiten Strophe, wurde ansonsten aber noch grundsätzlicher als Gamoneda. Die Lyrik wirke zwar "pfuscherhaft" und "fad", doch: "Wie sollte eine Hymne sonst sein?" Was den Autoren wenigstens ein bisschen aus der Verantwortung nahm.

Der Autor heißt Paulino Cubero und ist ein genuiner Vertreter des Volkes: ein 50jähriger Arbeitsloser, der wie Don Quijote aus der kargen Region La Mancha stammt, aus seinem Geburtsort Granátula de Calatrava in einen Randbezirk von Madrid gezogen ist, dort seine an Alzheimer erkrankte Mutter pflegt, Metro fährt und "auf der Jagd nach Sonderangeboten im Billigsupermarkt" aus dem Radio erfuhr, dass sein Text als Hymne gekürt worden war. "Almodóvar in Reinform", fand die Sportzeitung As. ¿Viva España? ¡Viva España!

© SZ vom 14.01.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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