Spanien:Schnauze!

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Geräuschlos geht nicht: Das Schwulen- und Lesbenfest in Madrid lockte mehr als eine Million Menschen auf die Straßen. (Foto: Javier Barbancho/Reuters)

Es war eine super Party letztes Jahr, doch das ist nun vergessen: In Madrid wird recht laut über Lärm gestritten. Im Mittelpunkt: ein Schwulen- und Lesbenfest, die Oberbürgermeisterin und viel Geld.

Von Thomas Urban, Madrid

Alles ganz, ganz toll, so war das im vergangenen Frühsommer beim großen Schwulen- und Lesbenfest "Gay Pride". Mehr als eine Million Menschen feierten begeistert auf den Straßen und Plätzen; erstmals wehte vom spätbarocken Cibeles-Palast, dem Lieblingsobjekt der Touristen, die Regenbogenfahne, und zwar in Übergröße, 26 Meter lang und drei Meter breit; und erstmals sprach ein Stadtoberhaupt auf dem Fest, nämlich die neue Oberbürgermeisterin Manuela Carmena vom linksalternativen Bündnis "Jetzt Madrid!", eine stets freundliche 72-jährige pensionierte Richterin. Doch nun, ein Jahr später, ist das längst vergessen. Es herrschen Zank, Debatten, Aufregung, und in Talkrunden wird hitzig gestritten: wegen des Lärms, der damals gemacht wurde.

Die Stadtverwaltung hat in diesen Tagen Bußgeldbescheide an die Organisatoren mehrerer Veranstaltungen im Rahmen des großen Festes geschickt - wegen permanenten Überschreitens des behördlich festgelegten Lärmpegels. Auch die zentrale politische Kundgebung, auf der die Oberbürgermeisterin kurz aufgetreten war, ist davon betroffen. Die Beamten haben es genau ausgerechnet: Für die Lärmexzesse vor und nach dem Auftritt Manuela Carmenas verlangen sie 12 400 Euro für die Stadtkasse, die Gesamtsumme für das ganze Stadtgebiet beläuft sich auf 180 000 Euro.

Die Vertreter der Hauptorganisatoren, des Kollektivs der Lesben, Gays, Transsexuellen und Bisexuellen von Madrid (COGAM), sind natürlich empört. "Das ist ein Anschlag auf die Meinungsfreiheit", heißt es in einer Erklärung. "Wir können doch nicht einer Million Menschen befehlen, dass sie schweigen sollen."

Im Umweltamt, an dessen Spitze seit einem Jahr engagierte Grüne stehen, lässt man die Argumente der Organisatoren nicht gelten. Nicht die lärmenden Gespräche Tausender Menschen seien der Grund für die Sanktionen, sondern die bewusste Überschreitung der vorgeschriebenen Werte durch Lautsprecher auf den Festwagen und die Rockkonzerte, die auf verschiedenen Plätzen der Stadt stattgefunden haben.

Und die Oberbürgermeisterin? Stellt sich gewissermaßen schwerhörig, manche Medien spekulieren bereits, sie habe gar nichts von den Bußgeldbescheiden gewusst. Sie selbst hat ja, und das ist eine wunderbare Pointe dieser Geschichte, in ihrem Programm zu ihrem Amtsantritt dem Madrider Lärm den Kampf angesagt. Zwei Drittel der Einwohner der Metropole treffen entweder in ihren Wohnungen oder am Arbeitsplatz schließlich Bedingungen an, die nicht im Einklang mit den Normen der EU für Lärmschutz stehen. Gleichzeitig hat Manuela Carmena immer wieder die Gleichheit aller vor dem Recht angemahnt, sie werde nicht mehr die Privilegierung bestimmter Gruppen dulden, wie dies unter der vorherigen Stadtregierung der Fall gewesen sei. Ihre Gegner wollen sich die Sache nun zunutze machen, denn, tja: Sie hoffen, dass Carmena nicht geräuschlos da rauskommt.

© SZ vom 09.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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