Siamesische Zwillinge:Trennung um jeden Preis

Lesezeit: 2 min

Den Zwillingen Ladan und Laleh Bijani war das Risiko bewusst. Mehrere Ärzte hatte ihnen von der Operation abgeraten. Im OP in Singapur lief klassische Musik während die Ärzte um das Leben der beiden Schwestern kämpften.

Manuela Kessler

(SZ vom 9.7.2003) - Die Worte sind einfach und krakelig geschrieben. Die Botschaft aber, die die Siamesischen Zwillingsschwestern Ladan und Laleh Bijani in einem öffentlichen Brief vermittelten, bevor sie sich unters Messer begaben, war deutlich zu verstehen: "Danke für all die guten Wünsche. Sie haben uns beruhigt, während wir unserer Operation ängstlich entgegen sehen." Täglich erflehten sie die Hilfe Allahs, dass ihr Herzenswunsch, voneinander getrennt zu werden, nach 29 Jahren endlich erfüllt werde.

Mehrere Ärzte hatten in den Jahren zuvor von einer Operation abgeraten. Ladan und Laleh waren gesund, fähig in der iranischen Hauptstadt Teheran alleine zu leben und ein Jurastudium abzuschließen. Trotzdem suchten sie nach einem Spezialisten, der willens war, ihre gemeinsame Lebensader durchzutrennen.

Laleh, die sich dem Studienwunsch der Schwester gefügt hatte, drängte auf eine Operation. Das brachte die zwei Iranerinnen letzten November nach Singapur zu dem Neurochirurgen Keith Goh. Er schätzte die Erfolgschancen einer Operation auf 50 Prozent.

Den Traum, ein normales Leben zu führen, haben nun beide mit dem Leben bezahlt. Das ist ein Albtraum für die Angehörigen und das Ärzteteam, das angetreten war, Medizingeschichte zu schreiben mit der ersten erfolgreichen Trennung Siamesischer Zwillinge im Erwachsenenalter.

Schreie hallten am Dienstagnachmittag durch das ultramoderne Singapurer Privat-Krankenhaus. Die Nachricht, dass die Bijani-Schwestern verblutet waren, traf Angehörige und Freunde wie ein Schlag.

Abbruch der Operation erwogen

Die Zeit war gegen das Siamesische Zwillingspaar und die 28 Ärzte gelaufen: Allein die Entfernung des Knochenbandes, das die Schädeldecken von Ladan und Laleh Bijani verband, kostete die Ärzte mehr als sechs Stunden.

Die gemeinsame Vene, welche am Hinterkopf der Bijani-Zwillinge verlief, sollte nach der Trennung der Gehirne Laleh zugewiesen werden. Ladan sollte mit Hilfe einer Vene aus ihrem Oberschenkel einen Bypass bekommen, durch welchen das Blut aus ihrem Gehirn abfließen sollte. Der Bypass, dessen Aufbau 13 Stunden gedauert hatte, erwies sich aber bereits am Montagabend als zu wenig durchlässig.

Der Blutdruck der Schwestern schwankte bedrohlich - und das Risiko von fatalen Hirnschwellungen wuchs mit jeder Stunde. An diesem Punkt erwogen die Ärzte nach eigenem Bekunden, die Operation abzubrechen.

Die beste Freundin der Zwillinge befand jedoch, dass die beiden "unter allen Umständen" getrennt werden wollten. So machten sich die Neurochirurgen daran, die Adern und das Gewebe zwischen ihren Gehirnen durchzuschneiden.

Klassische Musik lief im OP, um die angespannten Nerven zu beruhigen. Das Operationsteam verpflegte sich fliegend mit Instantnudeln und Sandwiches, Kaffee und Fruchtsaft. Lediglich vier Stunden Schlaf gönnten sich die einzelnen Mitglieder in Schichten.

"Buchstäblich Millimeter um Millimeter" arbeiteten sie sich vor, wie der Spitaldirektor Prem Kumar Nair am Dienstagmittag noch erklärte. Vorsicht sei geboten, weil die sensible Gehirnmasse leicht zerrissen werden könne. Bis am Dienstagabend aber, so sagte er voraus, wären Ladan und Laleh Bijani getrennt. Der plastische Aufbau ihrer Schädel werde einen weiteren Tag beanspruchen.

Es sollte nicht sein. Ladan Bijani ist 53 Stunden nach Beginn der Operation gestorben. Laleh überlebte ihre Schwester lediglich um eineinhalb Stunden.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: