Segways:Ben Hur ohne Pferd

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Touristen bei der Fahrt durch die Prager Altstadt: Bald sollen Segway-Roller hier nicht mehr unterwegs sein dürfen. (Foto: David W. Cerny/Reuters)

Einst wurde der Segway als Fortbewegungsmittel der Zukunft gepriesen. Nun wird er aus manchen Städten verbannt - und man kann sogar verstehen, warum.

Von Gerhard Matzig

Es mag seltsam sein, aber es ist von Deggendorf zu reden, wenn man über die Zukunft sprechen will. Nichts gegen Deggendorf. Unter jenen Dörfern Deutschlands, die aufstrebenden Städten mehr als dahinvegetierenden Dörfern gleichen, ist Deggendorf eine Perle. Eine Perle Niederbayerns, gelegen zwischen Donau und Bayerischem Wald einerseits - und an der Straße in die Zukunft andererseits.

An dieser Straße, es ist die Ulrichsberger Straße 17, firmiert die Urban Mobility 24 GmbH. Reinhold Eder ist der Geschäftsführer. Allerdings ist er gerade außer Haus, was die freundliche junge Dame aber nicht daran hindert, dem Reporter mitzuteilen, dass der Segway-Verkauf "sehr, sehr stark zurückgegangen ist", wobei sie sich wunderwundersamerweise anhört wie Pep-pep Guardiola. Und dann sagt sie noch: "Früher waren die Zeiten besser." Segway-mäßig.

Nun muss man dreierlei wissen. Erstens ist der "Segway Personal Transporter" ein in den USA um die Jahrtausendwende herum von einem Daniel Düsentrieb namens Dean Kamen erfundenes, elektrisch angetriebenes Einpersonen-Transportmittel. Also eine Art Hightech-Elektroroller, dessen maximal 20 Stundenkilometer schnelle Fahrt durch die Körperhaltung geregelt wird.

Zweitens hat der Stadtrat von Prag vor einigen Tagen entschieden, dass die bis zu etwa 10 000 Euro teuren Stehroller (ein hübsch paradoxer Begriff) aufgrund zunehmender Unfälle und Konflikte aus der historischen Altstadt verbannt werden. Das neue Verbot gilt in der Unesco-Weltkulturerbe-Zone und tritt demnächst in Kraft. In Salzburg gab es ein Verbotsbegehren schon im Jahr 2010. Und seit April ist der Segway-Einsatz auch im schwäbischen Siebenmühlental, sehr vorsichtig formuliert, ziemlich umstritten. Das gilt immer öfter auch für andere Städte. Während sich der Segway, dem einst sogar Apple-Gründer Steve Jobs als "fahrbaren iPod" eine strahlende urbane Zukunft vorhersagte, nur sehr zögerlich in die Welt der Städte und Landschaften begibt, scheint diese Welt ihn zunehmend zurückweisen zu wollen.

Drittens aber ist der Mobility-24-Eder aus Deggendorf ein Visionär, der eher nicht an frühere bessere Zeiten glaubt, sondern immer noch an die Zukunft einer anderen und vor allem besseren, ökologischeren und weniger stauanfälligen Mobilität. Das ist mutig, ja kühn. Leider ist er gerade deshalb ein Zeuge des bedauerlichen Niedergangs einer Idee, die einmal alle Welt fasziniert hat. Derzeit weiß man nicht so genau, wann diese Idee endgültig zu begraben ist.

Früher habe man jährlich Hunderte Segways verkauft, ach, Tausende, heißt es in Deggendorf. Jetzt sind es noch Einzelfälle und man will auch die Einzelfälle in der Mobility-24-GmbH lieber nicht so genau beziffern. Eder war einst, wie die FAZ noch 2009 schrieb, "Deutschland-Chef des amerikanischen Elektrorollerherstellers Segway". In Deutschland wurde der Segway von Deggendorf aus vertrieben. Heute gehört Segway dem chinesischen Start-up-Unternehmen Ninebot - und Deutschland wird vor allem vom österreichischen Krems aus beliefert. Eder staubt in seiner Mobilitätsfirma in Deggendorf also gelegentlich einen alten Traum ab, der bislang nicht in Erfüllung gegangen ist.

Manche meinten, als der Segway am 9. Januar 2001 erstmals in die Öffentlichkeit entlassen wurde, der Roller werde rasch bedeutsamer sein als das Internet. Hunderte von Millionen Dollar wurden in die Entwicklung des Vehikels gesteckt. Sein Erfinder Kamen hoffte, dass der Stehroller für das Auto das werden würde, was das Auto für die Kutsche war. Der Beginn einer neuen Ära. Noch wartet man aber darauf, dass sich die Utopie dahinsurrender Urbanisten erfüllt. Im Grunde ist die Geschichte des Segways ein Fiasko für alle Freunde visionärer Weitsicht.

Was einen als Deggendorfer aber nun so gar nicht wundert. Auf dem Segway - und das muss man mal betonen: es macht irre Spaß, ihn zu fahren - sieht man leider immer ein bisschen aus wie der aus der Antike bekannte Wagenlenker Ben Hur, dem im Circus Maximus gerade die Gäule samt Wagen davongaloppiert sind. Der Coolness-Faktor eines Gerätes, das verkehrsrechtlich als "elektronische Mobilitätshilfe" gilt, wobei schon der Begriff an Rollatoren für Fußlahme erinnert, konnte noch nicht überall als herausragend bestätigt werden. Wenn man mit dem Segway an einer Ampel steht, kichern manchmal die Schulkinder - bevor sie sich mit ihren smarteren und zugleich viel analogeren Longboards trollen.

In Deggendorf, einer Stadt, die außer für die Geschichte der Knödelwerferinnen auch für tiefer gelegte, umfassend getunte, röhrende Roaaaaar-Autos bekannt ist, kann so ein Kichern jedwede Vision bis nach New Hampshire, wo der Segway erfunden wurde, locker zurücklachen.

Natürlich war es auch nicht hilfreich, dass im Jahr 2003 der damalige US-Präsident George W. Bush nach einem Tennismatch am Feriensitz der Familie Bush, in Maine, einen Segway bestieg, um prompt im Graben zu landen. So wie es auch vor allem tragisch war, als der vormalige Segway-Chef Jimi Heselden vor sechs Jahren tödlich mit einem neuen Prototyp verunglückte. Und wenn dann noch ein chinesischer Kameramann dem schnellsten Mann der Welt, Usain Bolt, in die Hacken rollert, so geschehen vor einem Jahr, dann hat man bald das Gefühl: Es soll halt nicht sein, dass Menschen wie auf Wolken dahinsausen.

"Das Unfallrisiko und die Gefährlichkeit von Stürzen erscheinen beim Segway im Vergleich etwa zum Fahrrad geringer."

Dabei heißt es im Abschlussbericht "Segway im öffentlichen Verkehrsraum", den die Technische Universität Kaiserslautern 2006 veröffentlichte, sogar: "Das Unfallrisiko und die Gefährlichkeit von Stürzen erscheinen beim Segway im Vergleich etwa zum Fahrrad geringer." Schade. Andererseits gibt es das Fahrrad nun schon seit mindestens 200 Jahren - und man kann nicht wirklich sagen, dass der Elektroroller dem (E-)Bike sehr viel mehr als den ziemlich hohen Preis voraushätte.

Wenn man wirklich smart erscheinen will, was die wackeren Polizeibeamten des Saarlandes (seit 2006 auf Streife mit dem Segway) genauso wenig draufhaben wie die mobilen Manager, die auf dem Münchner Flughafen Slalom fahren zwischen den Rollkoffern in der Abfertigungshalle, wenn man also wirklich smart sein will: Dann geht man wie die Dandys einst mit einer Schildkröte an der Leine spazieren. Entschleunigung, ihr Visionäre, ist das Gebot der Stunde. Wir wollen vielleicht gar nicht immer mobiler, rollender oder surrender werden. Wir wollen vielleicht einfach mal herumstehen. Oder herumsitzen. Und das, das ruhende Sitzen, geht nun schon gleich gar nicht mit einem Stehroller. Dafür bräuchte man einen Stuhl. Wurde aber auch schon erfunden.

© SZ vom 23.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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