Schnee im Frühling:#bodenfrust

Erst ist der April zu warm, dann ist er zu kalt, nun fällt in Deutschland auch noch Schnee - und jeder macht Handyfotos davon. Ein paar Fragen und Antworten zum seltsamen Wetter dieser Tage.

Von Michael Neudecker

Seit der Mensch das Smartphone erfunden hat, macht er Fotos und verschickt sie in Whatsapp-Gruppen, manchmal postet er sie auch. Zu den beliebtesten Motiven gehört neben Mittagessen, Abendessen und Katzen das Wetter, was daran liegt, dass der Mensch gerne das fotografiert, was er eh dauernd sieht. Der Dienstagmorgen verlief daher nach Informationen der Süddeutschen Zeitung an vielen Orten in Deutschland gleich: aufstehen, rausschauen, Handy holen, klick. Das mancherorts bemerkenswerte Schneetreiben kommt auf dem Telefon zwar nicht so gut rüber wie in echt, die schneebedeckten Gärten, Balkone und Straßen aber schon, weshalb das rituelle Dokumentieren der bitteren Realität am Dienstag nach SZ-Recherchen fast immer von Kopfschütteln und/ oder Grummeln, bisweilen auch Schimpfen, begleitet war. Schnee nach Ostern? Da drängen sich mehrere Fragen auf.

Was soll das?

Prince hat einst gesungen: "Sometimes it snows in April/Sometimes I feel so bad, so bad." Das Lied handelt vom Tod eines geliebten Menschen, weshalb es nach dem Tod von Prince im vergangenen Jahr noch mal in den Charts erschien - es drückt aber auch das Gefühl aus, das viele empfinden, wenn es schneit im April, Trauer, Frust, Witzbolde sagen auch: Bodenfrust. Wenn man nicht zu jenen Zeitgenossen gehört, für die das Leben eine einzige Skisaison ist, dann ist dieses Gefühl des örtlichen Niederschlags völlig normal, zumal um diese Jahreszeit die Frühjahrsmüdigkeit auftreten kann. Sie entsteht dadurch, dass der Körper sich nach dem Winter auf den Sommer umstellt, sich selbst neustartet. Was dagegen hilft? Am besten Bewegung, rausgehen, an der frischen Luft sein. Sorry.

Wie viele Schnee-Fotos wurden gepostet?

Fotos verschickt und teilt man, weil man sie herzeigen will; weil man zeigen will, was man hat. Fotos verschicken und teilen von Allerweltsereignissen wie Schnee führt deshalb immer (IMMER!) zu einem Wettbewerb, mal mehr, mal weniger ernsthaft. Es geht darum, wer den ersten/ heftigsten/ schönsten/ schlimmsten Schneefall/ Regenschauer/ Sonnenbrand vorweisen kann. Wie viele Fotos am Dienstag verschickt und geteilt wurden, auf denen Schnee zu sehen war, ist seriös nicht zu belegen - zumal es ja längst nicht überall in Deutschland geschneit hat. In den sozialen Medien gibt es aber glücklicherweise Hashtags, die manch einer für den Beleg der Relevanz eines Themas nimmt. Also, Achtung: #schnee war auf Facebook, Twitter und Instagram am Dienstag einer der meistgenutzten Hashtags in Deutschland.

Erwartet uns das in Zukunft jedes Jahr?

Anruf beim Deutschen Wetterdienst: Nein, sagt der Meteorologe Thore Hansen, das könne man so nicht sagen, zumal es Klimaschwankungen immer schon gegeben habe und immer geben werde. Schneeschauer im April seien nicht vollkommen ungewöhnlich. Aber: "Derzeit ist es ungefähr sechs bis zehn Grad zu kalt", sagt Hansen. Das Problem sei, dass es in der ersten Aprilwoche ungewöhnlich warm war, weshalb der Umschwung sich nun besonders heftig anfühlt. "Wir haben die kälteste Luftströmung bei uns, die man um diese Jahreszeit haben kann", sagt Hansen, die kalte Luft kommt aus dem Polargebiet und ist von einer Nordostströmung hergetragen worden, und es sieht so aus, als bliebe sie noch eine Weile, leider, sagt Hansen und klingt, als sei das seine Schuld. Für Gelassenheit sorgt der Blick in die Historie: Am 13. April 1986 wurden in Sachsen-Anhalt -15,3 Grad gemessen. Da braucht man sich wirklich nicht über null Grad aufzuregen.

Was wird aus den Balkonpflanzen?

Betroffene berichten, das Drapieren von Oleander auf dem Balkon habe für Spannungen gesorgt ("Zu früh rausgestellt!"), und es stimmt schon: Pflanzen wie Oleander sind nicht für Minustemperaturen gemacht. Die Kälte dieser Tage aber zerstört die blühende Pracht in Gärten und auf Balkonen nicht unbedingt; gerade Oleander, aber auch Lorbeer, Flieder und Blumen wie Tulpen oder Krokosse seien "erstaunlich frosthart" und hielten Temperaturen bis zu minus drei Grad aus, wie Eiko Leitsch sagt, Baumsachverständiger beim Bundesverband Garten- und Landschaftsbau. Problematisch ist Frost für Geranien, Petunien oder auch Pelargonien. "Unsere Pflanzen haben sich den klimatischen Bedingungen angepasst", sagt Leitsch, "das heißt, sie werfen wasserhaltige Organe wie Blätter für den Winter ab", kommt der Frost aber im Frühling zurück, könnten ebendiese Organe Schäden nehmen. Besonders für Winzer ist das ein Problem, weshalb in Weinbaugebieten bisweilen Öfen aufgestellt werden - oder Wassersprüher. Eine Eisschicht isoliert, sie kann verhindern, dass das Wasser in den Trieben gefriert. Für den Hausgebrauch ist die einfachste Regel, sagt Eiko Leitsch: Die Balkonpflanzen einfach reinholen.

Ich habe schon Sommerreifen aufgezogen. Und nun?

"Verkehrsbehinderungen" ist kein schönes Wort, auch "situative Winterreifenpflicht" ist wenig elegant. Ersteres ist derzeit ständig zu hören und hat mit Zweiterem zu tun: Winterreifen müssen dann angebracht sein, wenn das Wetter winterlich ist. Sommerreifen bei Schneematsch haben nicht nur Unfälle, sondern auch ein Bußgeld von 60 Euro aufwärts zur Folge, Ärger mit der Versicherung inklusive. Aber Bahnfahren soll ja auch ganz schön sein.

Wann wird's wieder schöner?

Wetter-Apps sind Stimmungsmacher. Die Vorhersage stimmt nicht immer, aber das Auftauchen einer Sonne auf dem Bildschirm kann die Laune steigern, wie auch die grauen Wölkchen mit den Blitzchen das Gegenteil bewirken. Dazu noch mal Wetterfachmann Hansen: Mit Frühlingswetter sei so schnell nicht zu rechnen. In der Nacht zu Donnerstag seien bis zu -6 Grad zu erwarten, am Freitag kann es in manchen Teilen des Landes zwar zweistellige Plustemperaturen geben, schon am Wochenende aber kehren die Wölkchen zurück. Ein Kollege Hansens hat deshalb am Dienstag einen Witz gemacht, der sich über die Nachrichtenagenturen rasch verbreitete: Man könne ja fast in Versuchung kommen, den Menschen frohe Weihnachten zu wünschen. Meteorologenhumor.

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