Schmerzensgeld-Prozess:Späte Genugtuung

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Sportmoderatorin Erin Andrews, 37, wurde wochenlang von einem Stalker verfolgt und heimlich gefilmt. (Foto: Reuters)

Eine US-Sportreporterin muss seit Jahren damit leben, dass im Netz ein Nacktvideo von ihr existiert.

Von Christoph Dorner, München

Erin Andrews ist ein blondes "All American Girl" und eine smarte, aufstrebende Sportreporterin, die an der Seitenlinie über American Football berichtet, als sie 2008 ein Hotelzimmer in Nashville bezieht. Andrews hat zu diesem Zeitpunkt, wie viele ihrer Kolleginnen, bereits Erfahrungen mit Sexismus im Sportjournalismus gemacht. Sie weiß, dass ihr Job zwischen Tribüne, Kamera und Umkleidekabine ein Spießrutenlauf sein kann. Doch im Hotelzimmer wähnt sie sich sicher. Dass sie heimlich von einem Mann durch den Türspion gefilmt wird, erfährt sie - und die Welt - erst ein Jahr später, als ein Nacktvideo im Netz auftaucht. Ein Versicherungsvertreter aus Illinois hatte Andrews wochenlang quer durch die USA verfolgt und versucht, sie zu filmen. Die Nacktaufnahmen aus Nashville versuchte der verschuldete Mann dann zunächst an das Klatsch-Portal TMZ zu verkaufen. Nachdem die Redaktion abgelehnt hatte, landete das Video im Netz, wo es bis heute millionenfach angeklickt wurde. Der Mann wurde 2010 wegen Stalkings zu einer Haftstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt. Doch damit war die Sache für ihn nicht erledigt.

Ein Gericht in Nashville hat Erin Andrews nun ein Schmerzensgeld zugesprochen - in Höhe von 55 Millionen Dollar. 51 Prozent der Summe soll laut Urteil der Stalker zahlen, 49 Prozent der Betreiber und der Besitzer des Hotels in Nashville. Andrews Anwälte hatten ihnen vorgeworfen, die Privatsphäre der populären Reporterin nicht geschützt zu haben. Über das Haustelefon im Restaurant hatte der Mann die Zimmernummer Andrews' herausgefunden und anschließend am Empfang das Nebenzimmer gebucht. Die Anwälte der Hoteliers argumentierten, das Video hätte der Karriere der Klägerin eher genutzt als geschadet.

Sie wollen in Berufung gehen. Vor Gericht ging es dabei auch um den Vorwurf, Erin Andrews hätte das Video selbst in Auftrag gegeben; mit sogenannten Celebrity Sextapes hatten zuvor Paris Hilton und Kim Kardashian ihre Bekanntheit gesteigert. Ihr Arzt erwiderte, das Video habe die mittlerweile 37-jährige Frau schwer traumatisiert. Seit Jahren müsse sie mit sexistischen Kommentaren leben. "Morgen schau ich mir dein Video an", rief ihr 2011 jemand beim Baseball von der Tribüne zu. Es soll ein zwölfjähriger Junge gewesen sein.

© SZ vom 09.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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