Saufgelage:Der Trick mit der Herzattacke

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Nürnberger Fliesenleger steht zum 49. Mal wegen Zechprellerei vor Gericht.

Peter Schmitt

Manchmal ist der Film doch viel schöner als das wirkliche Leben. Nehmen wir zum Beispiel die Polizeiserie "München 7" des Bayerischen Fernsehens und daraus die dritte Folge.

Seit 15 Jahren reist KO-Dieter von Kneipe zu Kneipe. (Foto: Foto: ddp)

Autor Franz Xaver Bogner schrieb dem gewichtigen Schauspieler Lambert Hamel eine köstliche Szene als notorischer Zechpreller auf den Leib: Kaum aus der Justizhaft entlassen, sieht sich "KO-Dieter" nach einer neuen Gratis-Verpflegungsstation um und foppt das Personal der noblen "Opernstuben" mit einem gekonnt simulierten Herzinfarkt.

Der noch gewieftere Polizist Xaver Bartl, alias Andreas Giebel, holt ihn unterdessen durch längeres Zudrücken der Nase schnell wieder von der Liege. Statt zum x-ten Mal in den Knast, wandern Hamel bzw. KO-Dieter und sein uniformierter Erwecker gemeinsam zur Billig-Lasagne in der Stammkneipe des Polizisten.

KO-Dieter gibt es wirklich!

Nun gibt es den KO-Dieter tatsächlich. Bogner fand seine Figur in dem 53-jährigen Dieter S. aus Nürnberg. Der gelernte Fliesenleger war nie verheiratet und reist seit 15 Jahren mit der Masche vorgespielter Herzattacken und Ohnmachtsanfälle, die ihn jedes Mal ereilen, wenn es ans Zahlen geht.

So wie der gut gekleidete Bonvivant im Fernsehen sieht der wirkliche Dieter allerdings nicht aus. In blauer Fleece-Jacke, ausgebeulten roten Baumwollhosen und Turnschuhen sitzt der Untersuchungshäftling vor Richter Michael Schaffer im Saal 26 des Nürnberger Justizpalasts.

Dieter S. ist auch kein Feinschmecker. Ein Schweinsschnitzel oder eine Portion Leberkäs mit Ei genügen ihm, wenn nur ausreichend Schnaps dazu ausgeschenkt wird.

Es wird an diesem Vormittag das Urteil Nummer 49 in seinem Leben über ihn verhängt werden: Vier Monate Haft wegen Betrugs und Missbrauchs von Notrufen. Der Betrug, das waren die 24,90 Euro, die er dem Wirt vom "Cafe Glockendohn" für zehn Schnäpse schuldig geblieben war.

Nur zwei "gespritzte Cognac" hatte er selber getrunken. Der Rest war für eine Lokalrunde. Dieter S. ist gern freigebig zu Zechkumpanen, weil er ohnehin nicht vorhat, die Rechnung zu bezahlen. Unter Missbrauch von Notrufen ordnet die Justiz die 700 Euro ein, die jedes Mal fällig werden, wenn ein Wirt oder die Polizei den Notarzt rufen, um Dieters vermeintlich gefährdetes Leben zu retten.

Die Sanitäter kannten ihn schon

An jenem 22. Februar 2005 hatte er sich wieder einmal, ob nun zum 76. oder gar 86.Mal weiß er selbst nicht mehr, vom Stuhl sacken lassen und mit geschlossenen Augen vor sich hin geröchelt. "Ganz langsam fiel er zuerst nach vorn und dann vom Hocker", erzählt Wirt Konrad Margeht.

Er hatte den heruntergekommen wirkenden Gast zuerst nicht in sein Eck-Café lassen wollen. Erst als der ihm vormachte, er wolle seinen 50. Geburtstag feiern, habe er nachgegeben. So recht geglaubt hat er seinem Gast dann auch den Anfall nicht. Klarheit verschafften die Sanitäter, die sofort wussten, welchen "Notfall" sie vor sich hatten.

Dennoch bemühten sie sich um den am Boden Liegenden. Die Polizeistreife nahm ihn gleich mit in die Zelle. Dieter S. war nach der Verbüßung seiner bislang vorletzten Haftstrafe nur wenige Stunden in Freiheit gewesen. Überhaupt hat der Vater einer 37 Jahre alten Tochter seit seinem 17.Lebensjahr immer nur kurze Zeit außerhalb der Gefängnismauern verbracht.

Unter den 48 Eintragungen im Strafregister stechen zwei längere Freiheitsstrafen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern heraus. Die letzten Jahre aber glichen die Urteile einander wie ein Haar dem anderen: Zechbetrug, Missbrauch von Notrufen und Vollrausch.

Reden fällt ihm schwer

Der Alkohol hat ihn auch äußerlich gezeichnet. Das Reden mit dem nahezu zahnlosen Mund fällt ihm schwer. Die Antwort auf die Frage des Richters, warum er in immer kürzeren Intervallen rückfällig werde und nach der Haftentlassung offenbar als erstes eine Gaststätte anstrebe, obwohl er kaum Geld habe, ist leer: "Weiß ich nicht, ich war wohl dumm."

Ob er an seinem Leben etwas ändern wolle, will Schaffer noch wissen. Auch dazu fällt dem kraftlosen Mann nichts ein. Nur einmal wird KO-Dieter ein wenig munter. Nachdem Staatsanwältin Anja Wachtel statt der üblichen zwei bis drei Monate fünf Monate Haft ansetzen möchte, wird der Angeklagte zum Anwalt seiner selbst: "Ich beantrage drei Monate, fünf sind mir zu viel", sagt er.

© SZ 11.5.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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