Sachsen:Die Kirche bleibt nicht im Dorf

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Im sächsischen Heuersdorf muss ein Gotteshaus der Braunkohle weichen. Auf Rädern zieht das tonnenschwere Gebäude nun in einen Nachbarort um.

Christiane Kohl

Schwermütige Musik weht über den von Baggern und Spezialtransportern zerfahrenen Platz. Nicht weit von den Bläsern stehen zwei bunte Dixi-Toiletten, wie sie auf dem Bau üblich sind, rote und graue Stahlteile liegen herum, auch eine Würstchenbude wurde aufgestellt. Gleich dahinter klafft das riesige Braunkohleloch. Andächtig betrachten etwa 60 Dorfbewohner die kleine Feldsteinkirche, die inmitten der Szenerie thront. Sie nehmen Abschied von ihrem Gotteshaus.

Eine Kirche zieht um, von Heuersdorf zwölf Kilometer ins benachbarte Borna. (Foto: Foto: ddp)

Vielen Bürgern stehen Tränen in den Augen, selbst den Pfarrer hat die Rührung überkommen. Wie oft hatte Thomas Krieger schon in der kleinen Kirche mit der großen Säule in der Mitte gepredigt? An diesem Donnerstagmorgen steht der Pastor nun im kalten Wind vor dem alten Gemäuer und spricht das Vaterunser. Die Bläser spielen ein letztes Lied, dann setzt sich das Gotteshaus langsam in Bewegung.

Zwölf Kilometer weit wird der etwa 820 Tonnen schwere Bau bis zum kommenden Mittwoch mit einem tonnenschweren Spezialtransporter von dem sächsischen Ort Heuersdorf zu der benachbarten Kreisstadt Borna südlich von Leipzig gefahren. Die Umsetzung der Kirche ist eine Art Schlussakkord in einem jahrzehntelang schwelenden Streit: Bis Ende 2008 muss Heuersdorf komplett dem Braunkohletagebau weichen, Hunderte von Bewohnern haben deshalb bereits widerstrebend das Dorf verlassen, Dutzende von Häusern werden noch abgerissen - da sollte wenigstens die Kirche gerettet werden.

1000 Tonnen auf Reisen

Der Umzug des Gotteshauses gilt als einmalig in Deutschland. Zwar kann der Glaube, wie es so schön heißt, Berge versetzen - um eine Kirche umzusetzen aber bedarf es höchst komplizierter technischer und logistischer Vorbereitungen. So muss das Kirchlein, das mit 100 Metern pro Stunde unterwegs ist, in den nächsten Tagen zwei Bahnübergänge überwinden und zwei Flüsse durchqueren - für die bestehenden Brücken ist der insgesamt 1000 Tonnen wiegende Transport zu schwer.

Überdies gilt es, eine enge Altstadtstraße in Borna zu passieren, die an jeder Seite gerade mal zwei Zentimeter mehr Raum bietet als der knapp neun Meter breite Transport für sich einnimmt. Am 31. Oktober, dem Reformationstag, soll das Gotteshaus dann an seinem neuen Standort in Borna abgesetzt werden. Drei Millionen Euro kostet die Kirchenumsetzung. Besondere Schwierigkeiten bereitete die Stabilisierung des etwa 750 Jahre alten Bauwerks.

Einstmals als Wehrkirche errichtet und dem biblischen Ort Emmaus gewidmet, war das Gotteshaus 1297 erstmals urkundlich erwähnt worden. Die Außenfassade besteht aus jeweils zwei Bruchsteinmauern, dazwischen liegende Hohlräume waren dereinst nur mit losen Materialien verfüllt worden - mit Sand und Steinen. Um die Mauern zu stabilisieren, schossen die Techniker 1800 Bohrlöcher in die Wände.

Durch die so entstandenen Kanäle im Mauerwerk wurden mehr als 30 Kubikmeter Spezialbeton in die Hohlräume gepumpt. Auch die Wandecken, aus Sandsteinen hochgemauert, bereiteten Probleme, denn es stellte sich heraus, dass sie gar keine rechte Verbindung mit den Seitenwänden hatten.

Im 17. Jahrhundert war die Wehrkirche, die als eine der ältesten in Sachsen gilt, nach dem damaligen Geschmack umgebaut worden. Aus dieser Zeit stammt der geschwungene Kirchturm in Zwiebelform mit dem Glockenstuhl. Die beiden Glocken wurden jetzt an ihrem Platz belassen, die Dachziegel hat man hingegen vorsichtshalber abgenommen. "Das musste schon aus Sicherheitsgründen für die Arbeiter sein", sagt Jochen Dreyhaupt, der für die Sicherheitsvorkehrungen rund um den Transport verantwortlich ist. Entsprechend ist das Kirchlein jetzt mit einer Dachhaut aus schwarzgrauer Teerpappe überzogen. Auch die Orgel wurde ausgebaut, der steinerne Altar und die daran gebaute Kanzel aber blieben im Kirchenraum.

Das freilich war nur möglich durch eine weitere technische Meisterleistung: Im Untergrund des Gotteshauses wurde ein neuer Kirchenboden aus Stahlbeton gegossen. Andernfalls wäre die Emmauskirche gar nicht transportabel gewesen, denn sie hatte kein gemauertes Fundament.

"Die haben sich damals ein stabiles Fleckchen gesucht", sagt Pastor Krieger, "da brauchte es wohl kein besonderes Fundament". Einstmals stand die Kirche mitten im Dorf, das im 13. Jahrhundert gegründet wurde. Rund 300 Bewohner lebten bis vor kurzem in den stattlichen Höfen rundum, Heuersdorf hatte lange Zeit reiche Bauern, denn der Boden im Leipziger Süden war fruchtbar.

Erster Gottesdienst an Ostern

Heute aber sitzt das Braunkohleloch schon dicht am ehemaligen Kirchplatz. Viele Höfe und Häuser, die bislang noch stehen blieben, sehen aus wie nach einem Kriegsangriff: Putz blättert von den Wänden, wo einst Fenster waren, klaffen leere Löcher, teilweise sind die Dachstühle eingestürzt. Zwischendrin aber sieht man neu gestrichene Fassaden, Blumenbeete im Vorgarten und frische Kürbisse als bunte Herbstdekoration vor den Wohnungstüren liegen.

Etwa 60 Bürger wohnen noch in Heuersdorf. Auch der Ortsvorsteher Horst Bruchmann ist darunter. "Die Bürger sind langsam mit ihren Nerven am Ende", sagt der 66-Jährige. Eigentlich ist die Braunkohle sein Leben gewesen, 32 Jahre lang arbeitete Bruchmann als Elektroingenieur bei dem Kombinat, dann quittierte er seinen Job, er wurde Bürgermeister und später, nach der Eingemeindung von Heuersdorf, Ortsvorsteher.

Das war vor 15 Jahren, seither kämpft Bruchmann gegen die Braunkohle. Etwa 52 Millionen Tonnen Kohle lagern nach Schätzung des Braunkohle-Unternehmens Mibrag unter dem Ort, sie soll im nahen Kraftwerk Lippendorf verfeuert werden, das in 2000 ans Netz ging. "Fünf bis sechs Jahre wird das Kraftwerk brauchen, um die Kohle zu verfeuern", sagt Bruchmann - "dafür muss ein mehr als 700 Jahre altes Dorf weichen".

Von seinem Wohnzimmer blickt Bruchmann auf ein hübsches Fachwerkhaus. Es ist eines von rund 40 Baudenkmälern, welche die Denkmalpfleger einst unter Schutz stellten im Dorf. "Alle werden sie platt gemacht", sagt Bruchmann, "da wollten wir, dass wenigsten die Kirche bleibt".

Doch zunächst musste eine neue Gemeinde gefunden werden, und das war gar nicht so einfach. "In Zeiten, wo es immer weniger Menschen und auch Gläubige gibt", sagt Pfarrer Krieger, "kann solch eine Kirche auch eine Last sein". Mehrere Gemeinden lehnten ab - sie wollten die schöne alte Kirche nicht mal geschenkt haben. Die Gläubigen in Borna willigten schließlich ein - Ostern 2008 soll der erste Gottesdienst sein.

© SZ vom 26.10.07 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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