Rolling Stones:Harte Riffs für Bush und den Teufel

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Zum Auftakt ihrer Welttournee in Boston toben die betagten Rolling Stones wie einst - und haben zum ersten Mal eine klare politische Botschaft.

Reymer Klüver

Boston, 22. August - Gerade als Bass und Schlagzeug mal wieder auf Teufel komm 'raus wummern und der Sänger wie gestochen über die Bühne fegt und alles im Rotlicht glüht, da geht der Mann an der Gitarre zu Boden, ein Bein so unnatürlich abgespreizt, als wäre es gebrochen, und beginnt, das schwarze Instrument an die Brust gezogen, einfach zu spielen: das alte Solo, Ton für Ton.

Versunken, die Augen geschlossen, als kauerte er gerade nicht vor 40.000 Menschen, sondern wie vor langer, langer Zeit, irgendwo zwischen den Verstärkern im Studio, da er die Töne zum ersten Mal aus der Gitarre herausquälte. Klirrend schrill, als schnitten die Saiten durch Glas, so verletzend scharf, als könnten sie die Haut aufritzen. Ein Solo für den Teufel.

Es ist ein anrührender Moment, als Keith Richards, der Gitarrist, am Sonntagabend zum Auftakt der neuen Welttournee der Rolling Stones im Bostoner Fenway Park Baseballstadion "Sympathy for the Devil" spielt - mit eben genau dem Solo, wie er es vor bald vierzig Jahren ersonnen hat.

Als wäre die Zeit, die so furchterregende Schluchten in sein Gesicht geschlagen hat, nicht vergangen. Als könne er so jung und unbekümmert sein wie damals.

Gegen die Zeit

Doch natürlich ist es ganz anders. In Wahrheit spielen die Rolling Stones gegen die Zeit an, gegen die Gesetze der Biologie. Der Rock 'n' Roll bleibt ewig jung, sie aber nicht. Charlie Watts, der Drummer, hat gerade eine Krebsbehandlung überstanden. Es ist, als müssten sie nun noch einmal, ein letztes, oder vielleicht auch nur ein vorletztes Mal beweisen, dass sie schon immer die härteste Rockband aller Zeiten und Altersklassen waren, es noch sind und es vor allem immer bleiben werden.

Hier in Boston ist es so, und so wird es sein bei allen 35 Konzerten in den USA und bei den Auftritten im Rest der Welt im kommenden Jahr.

Der sympathische Herr mit den grauen Haaren, eben Charlie Watts, der Gruppenälteste, treibt die anderen vor ihm auf der Bühne mit einem derart harten Beat an, als lägen nicht mehr als vier Jahrzehnte zwischen den Zeiten in den verrauchten Londoner Bluesclubs und diesem Auftritt in Bostons ehrwürdiger Baseballarena.

Bobby Keys, dem Saxophonisten, ist in den 35 Jahren, da er das Solo in Brown Sugar bläst, die Luft nicht dünner geworden. Und das Gitarristenduo Keith Richards und Ron Wood stolpert wie eh und je über die Bühne und durch die Songs - es fällt lediglich auf, dass Wood, mit 58 Jahren der Junior der Band, die Zigarette nicht mehr ständig im Mundwinkel glühen lässt.

Der Fan aus Kalifornien

Und natürlich ist da überall und vor allem Mick Jagger. Er springt und kaspert und kajolt über die Bühne, als wäre er 30 Jahre jünger. Unglaublich fit muss dieser Mann von inzwischen 62 Jahren sein. Die Aufnahmen von Tourneen in alten Zeiten, die hin und wieder (anstelle einer gewaltigen roten Zunge) auf die gigantische Videowand hinter der Bühne geworfen werden, unterstreichen diesen Eindruck noch: Es gibt keinen Unterschied zwischen dem jungen, lasziven Mann von damals und dem Derwisch von Fenway Park.

Das rote Hemd, das Jagger in der zweiten Hälfte der Show trägt, ist so geknöpft, dass die Bühnenventilatoren den Stoff weit empor blasen und immer wieder den Blick freigeben auf seinen Waschbrettbauch.

Angeblich ist dies die 31. Welttournee der Rolling Stones, und es wird sicherlich Kenner geben, die das nachgezählt haben für die vergangenen 43 Jahre, da die Band unter diesem Namen spielt. Sie seien die bei weitem erfolgreichste Tourneegruppe in der Geschichte der Menschheit, hat Ray Waddell, der Chefredakteur des amerikanischen Fachblattes Billboard, kürzlich zu Protokoll gegeben; es dürfte ihm da niemand widersprechen. Seit 1989 soll die Band 1,125 Milliarden Dollar allein bei ihren Auftritten rund um den Globus verdient haben.

Auch diesmal sind alle Konzerte zumindest in den USA praktisch schon ausverkauft. Der Schwarzhandel im Internet floriert. Für die Auftritte im berühmten Hollywood Bowl Anfang November beispielsweise sind Karten für 3300 Dollar das Stück im Angebot. Werbung ist da nicht wirklich mehr nötig.

Aber Klappern gehört zum Handwerk und Krach machen zum Rock 'n' Roll. Und so haben die alten Herren, rechtzeitig zum Tourneeauftakt und zum Erscheinen ihrer neuen CD Anfang September, es doch geschafft, so etwas wie eine Kontroverse anzuzetteln. Sie haben eine politische Botschaft. Das ist neu für sie.

Damals, als sie jung waren und die anderen jungen Leute revoltierend auf die Straße gingen, machten sie die Musik dazu, Mick Jagger feierte den Street Fighting Man. Was sie damit jedoch meinten, wusste keiner so ganz genau. Es war eigentlich auch egal. Und ein paar Jahre später haben sie von "Pat and Dick in ol' DC", also vom US-Präsidenten Richard Nixon und seiner Frau Patricia gesungen, die sie nicht so toll fanden, dafür aber die schwarze Bürgerrechtlerin Angela Davis, der sie ein ganzes Lied widmeten.

So richtig politisch engagiert allerdings, wie beispielsweise Jaggers damalige Frau Bianca es seit Jahren ist, waren sie nie.

Aber jetzt haben sie Partei ergriffen, eindeutig. Sie singen wider die "Neo-Cons", gegen die Neo-Konservativen in Washington, die Freiheit und Demokratie nach ihrer Façon über die Welt bringen würden, und wer gegen sie sei, komme ins Gefängnis ohne Gerichtsverfahren. "How come you're so wrong, my sweet neo con", hat Mick Jagger gedichtet. Keith Richards, dem Partner beim Songschreiben, war es fast zu viel.

Richards wohnt im amerikanischen Bundesstaat Connecticut. Und man weiß ja nie. Aber schließlich habe er zu Jagger gesagt: "Wenn es dir so wichtig ist, stehe ich hinter dir, Kumpel." So wird der Gitarrenmann jedenfalls in der Boulevardzeitung Boston Herald zitiert, zweifellos auf diesem Gebiet ebenfalls ein Fachblatt.

Doch im Fenway Park warten die Fans vergeblich auf diese Fanfare zum Tourneeauftakt. Das könnte daran gelegen haben, dass Botschaft und Geschäft ein wenig aneinander geraten sind. Womit Kaliforniens Gouverneur Arnold Schwarzenegger zu tun hat, bekanntlich auf seine Art auch ein alter Rock 'n' Roller.

Schwarzenegger hatte vom Hauptsponsor der Stones-Tournee in den USA, der Hypothekenbank Ameriquest, in alter Verbundenheit drei Dutzend Karten für beste Plätze beim Weltauftaktkonzert bekommen. Und weil er für den Wahlkampf bis November ohnehin noch 25 Millionen Dollar zusammenbekommen will, hat der Gouverneur die Tickets extra angeboten: 10.000 Dollar für einen Empfang mit ihm vor dem Konzert und für einen Sitzplatz ziemlich weit vorne, 100.000 Dollar für den Empfang und einen Sitz in seiner eigenen Loge.

It's only Rock 'n' Roll

Das hat Schwarzenegger nichts als Ärger gebracht: Die "Foundation for Taxpayers and Consumer Rights", eine Art kalifornischer Steuerzahlerbund, hat ihn angezeigt, weil der überteuerte Weiterverkauf von Karten in Massachusetts verboten ist.

Schwarzeneggers republikanischer Kollege in Boston, Gouverneur Mitt Romney, ist eingeschnappt, weil die Sammelaktion nicht mit ihm abgestimmt war. Und die Stones sind es offenbar auch. Sehr geehrt seien sie, sagt Jagger zwischen zwei Nummern, dass ein Fan aus Kalifornien angereist sei, um Karten zu überhöhten Preisen zu verkaufen.

Aber das ist es denn auch mit der Politik. Gegen Ende des Konzerts, nach all den alten Krachern, nach Honky Tonk Woman und Satisfaction, nach Brown Sugar und Jumpin' Jack Flash, nach insgesamt zwei Stunden und fünf Minuten spielen sie zum Schluss und wohl nicht ganz absichtslos den Titel, der wie ein Motto über diesem Abend und über all ihre Jahre im Geschäft liegen könnte: It's only Rock 'n' Roll. Aber sie mögen es.

© SZ vom 23.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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